Warum bereits Einjährige mit fremden Augen sehen können
24.02.2012
Wissen oder sich zumindest vorstellen können, was das Gegenüber denkt – kinderleicht ist das nicht, auch wenn bereits in jüngsten Jahren die Grundlagen dazu gelegt werden. Schon Einjährige können eigene und fremde Überzeugungen unterscheiden, schreiben Professor Dr. Albert Newen und Dr. Leon de Bruin vom philosophischen Institut der Ruhr-Universität Bochum in einem Fachartikel, der in der Zeitschrift Cognition erschienen ist. Weitere drei Jahre dauert es, bis diese Fähigkeit vollständig ausgebildet ist und Kinder die Perspektive eines anderen einnehmen können. Dass Tests zu diesen Fähigkeiten unterschiedlich ausfallen, liegt vor allem daran, dass manche Tests handlungs- und andere sprachbasiert arbeiten, so die Wissenschaftler.
Und so kann ein Test aussehen: Vierjährige, aber auch jüngere Kinder beobachten folgende Szene: Eine Person bringt einen Ball in einen Raum, legt ihn in einen Korb und entfernt sich wieder. Nun kommt eine weitere Person herein, nimmt den Ball aus dem Korb und legt ihn in eine Schachtel. Wo würde die erste Person den Ball suchen? Da wo sie ihn hingelegt hatte, würden Vierjährige antworten, nämlich im Korb. Sie wissen, dass sie der ersten Person Kenntnisse voraus haben und können "einen Wissensschritt" zurückgehen. Jüngere würden "in der Schachtel" antworten – aber nur wenn der Test auf Sprache beruht, fanden die Bochumer Forscher heraus und maßen stattdessen die Blickdauer, mit der die Kleinen Korb oder Schachtel fixierten. Ergebnis: Bereits die Kleinsten behielten den Korb länger im Blick, konnten also auch die Perspektive der ersten Person einnehmen.
Und wie lernt der Mensch nun verstehen, was ein anderer denkt? Die Bochumer Wissenschaftler gehen von drei sogenannten Modulen aus, die sich mit den Jahren entwickeln: Bereits die Kleinsten lernen durch Beobachten und eigenes Tun. Dann entwickelt sich die Wahrnehmung, die es ihnen erlaubt, auch eine fremde Blickrichtung einzunehmen, um herauszubekommen, was andere möchten – und umgekehrt: Mutter weiß, was Baby möchte, wenn dieses ein Ding nur lange genug anschaut. Zum Schluss kommt die Sprache hinzu, bei der – aus Babysicht zunächst seltsame – Tonfolgen helfen, sich verständlich zu machen und eben auch andere zu durchschauen.
MP