Thema der Woche: Reizdarm
07.06.2018
„Unter dem Reizdarmsyndrom verstehen Mediziner eine Funktionsstörung des Darms“, erklärt Professor Dr. Dr. Stefan Hillejan, Phlebologe und Proktologe von der Praxisklinik für Venen- und Enddarmerkrankungen in Hannover. „Betroffene leiden unter einem sehr empfindlichen Verdauungsapparat und klagen immer wieder über Beschwerden wie Bauchschmerzen, Krämpfe, Durchfall, Verstopfung oder auch abgehende Winde.“
Organisch lässt sich meist kein Grund feststellen, der die Beschwerden erklären könnte. „Warum diese Erkrankung doppelt so viele Frauen wie Männer betrifft oder worin die Ursache der Beschwerden liegt, ist ungeklärt“, bestätigt Hillejan. „Deshalb gibt es auch keine Therapie, um die Ursache gezielt zu behandeln.“
Keine Ursache, die sich mit Ultraschall, Röntgen oder sogar einer Darmspiegelung finden lässt. Inzwischen verfolgen Experten jedoch mehrere Theorien. Einige Ärzte gehen davon aus, dass die Nerven im Darm überempfindlich reagieren. Andere sehen fehlgeleitete Nervenimpulse im Verdauungstrakt als Ursache. Auch gestörte Bewegungsabläufe im Darm kommen als Auslöser der Beschwerden infrage. Hillejan: „Grundsätzlich gilt, dass ein Reizdarm die Betroffenen zwar im Alltag einschränkt, sich jedoch nicht auf ihre ebenserwartung auswirkt. Wer unter den Symptomen eines Reizdarms leidet, sollte in jedem Fall einen Arzt aufsuchen, um andere Darmerkrankungen wie Entzündungen oder Tumore auszuschließen und die richtigen Maßnahmen abzusprechen.“
Oft eine große Belastung
Wenngleich das Reizdarmsyndrom, wie von Hillejan erwähnt, keine lebensbedrohliche Erkrankung bedeutet, belasten die Symptome die Betroffenen. Sie besitzen eine große Bandbreite, die von Bauchschmerzen, Krämpfen bis zu Verstopfung oder Durchfall reichen, die sich häufig auch noch abwechseln. Viele haben darüber hinaus mit dem Gefühl einer unvollständigen Stuhlentleerung zu kämpfen. Kein Wunder, dass sich viele isolieren und etwa nicht mehr ins Kino oder ein Café trauen oder dort gleich nach der Toilette suchen.
Viele Patienten vermuten, dass es einen Zusammenhang zwischen ihrem Stress und ihrer Ernährung gibt. Manche suchen deshalb eine Ernährungsberatung auf und hoffen so, ihre Beschwerden zu lindern. Doch es gibt beim Reizdarm weder ein Allheilmittel noch eine klassische Ursache. Dem einen nutzt es, sein Essverhalten zu ändern, andere profitieren
davon überhaupt nicht. Oft erfordert es viel Zeit und Geduld, bis man eine Behandlung findet, die funktioniert. Vielen jedoch gemeinsam: Sie fühlen sich mit ihren Beschwerden nicht ernst genommen. Über viele Jahre sind sie von Medizinern mehr oder weniger abgestempelt worden – als eingebildete Kranke.
Betroffenen hilft deswegen oft schon die Erkenntnis: „Ich hab’s im Bauch, nicht im Kopf“. Dennoch haben Reizmagen- und Reizdarmpatienten oft einen längeren Weg vor sich, bis ein Arzt die richtige Diagnose stellen kann und sie etwas finden, das ihnen Linderung verschafft.
Patienten ernst nehmen
In sehr schweren Fällen von Reizdarm transplantieren Mediziner inzwischen sogar Stuhl. Damit verpflanzen sie auch Bakterienkulturen, die den menschlichen Darm besiedeln und ihn wieder ins Gleichgewicht bringen sollen. Denn die Darmflora, auch Mikrobiom genannt, hat offenbar entscheidenden Einfluss darauf, wie der Körper Nahrung und Informationen im Bauchhirn verarbeitet.
Darmflora unter der Lupe
Generell gilt: Bei Beschwerden im Verdauungsbereich, die länger anhalten, sollten Patienten einen Arzt aufsuchen, um die Ursachen herauszufinden. Auch wenn es mitunter schwerfällt, über dieses Thema zu sprechen. Denn je eher man gegengesteuert, desto schneller kann man Magen und Darm wieder in Einklang bringen.
Peter Erik Felzer