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So jung und schon Diabetes?

KFL  |  14.11.2023

Längst bekommen nicht nur ältere Menschen Typ-2-Diabetes. Über die Entwicklung und Gegenmaßnahmen haben wir mit einer Expertin gesprochen.

Kinder mit Softdrinks.
Auch Kinder können Diabetes entwickeln, warnen Mediziner.
© Yana Tatevosian/iStockphoto

Übergewicht ist ein Risikofaktor für Typ-2-Diabetes. Rollt da eine neue Welle auf uns zu?

Weihrauch-Blüher: Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen ist ein zentrales Gesundheitsproblem. Den letzten repräsentativen Messungen zufolge sind 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Übergewicht und 6 Prozent von Adipositas, also krankhaftem Übergewicht, betroffen. Neuere Daten zum Beispiel aus Schuleingangsuntersuchungen weisen darauf hin, dass die Zahlen vor allem seit 2020 nochmal angestiegen sind. Die Weltgesundheitsorganisation WHO spricht bei Adipositas seit Jahren von einer "Epidemie".

Und der Diabetes?

Weihrauch-Blüher: Eine internationale Studie zeigt, dass die Häufigkeit von Typ-2-Diabetes bei Jugendlichen zwischen 2001 und 2020 um 30 Prozent gestiegen ist. In Deutschland liegt der Wert laut dieser Untersuchung mit 2,4 pro 100.000 zwar im unteren Bereich – die aus Deutschland eingeflossenen Daten waren aber schon mehr als zehn Jahre alt. Aktuelle Zahlen des Diabetes-Verlaufsregisters der Universität Ulm legen nahe, dass knapp zwölf Prozent der Kinder mit Adipositas schon einen Prädiabetes und 1,4 Prozent einen manifesten Typ-2-Diabetes haben. Wir haben derzeit etwa 1.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland registriert. Wir gehen aber von deutlich mehr Betroffenen aus. 

Warum steigen die Zahlen in dieser Altersgruppe an?

Weihrauch-Blüher: Der Lebensstil zählt zu den Hauptfaktoren. Und ganz oben steht die ungesunde Ernährung mit wenig Gemüse, zu viel Zucker, regelmäßigem Snacking und vielen Softdrinks. Viele kennen keine regelmäßigen Hauptmahlzeiten mehr mit einer Pause zwischendurch, damit der Insulinspiegel auch wieder runtergeht. Kinder und Jugendliche mit Adipositas haben fast alle schon deutlich erhöhte Insulinspiegel, eine Vorstufe für die Entwicklung von Typ-2-Diabetes. Außerdem zeigt eine von uns durchgeführte repräsentative Elternbefragung, dass sich das Bewegungsverhalten besonders bei Kindern ab zehn Jahren während der Corona-Pandemie reduziert hat. Bei etwa 60 Prozent der Kinder und Jugendlichen dieser Altersgruppe gab es einen deutlichen Rückgang in der körperlichen Aktivität parallel zum zunehmenden Medienkonsum. Vor diesem Hintergrund müssen wir in den nächsten Jahren von einem weiteren Anstieg von Adipositas und in der Folge von Typ-2-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen ausgehen.

Was muss sich ändern, um diesen Trend aufzuhalten?

Weihrauch-Blüher: Hier ist politisches Engagement gefragt. Man kann die Familien nicht allein lassen. Die WHO empfiehlt ein Zusammenspiel aus mehreren Maßnahmen, um die Adipositas-Epidemie einzudämmen: Gesundes Essen in Kitas und Schulen, eine Besteuerung von Zuckergetränken, gesetzliche Beschränkungen der Werbung für Ungesundes und einen verbesserten Zugang zur Behandlung für betroffene Kinder.

Was raten Sie Eltern, die sich Sorgen um das Gewicht ihres Kindes machen?

Weihrauch-Blüher: Der erste Ansprechpartner ist der Kinder- undJugendarzt. Liegt der Body-Mass-Index BMI des Kindes über der 97. Perzentile, spricht man von Adipositas. Dann empfiehlt sich, das Kind zunächst an einem spezialisierten Adipositas-Zentrum vorzustellen. Der Hauptpfeiler der Therapie ist eine interdisziplinäre Intervention: Bewegung, Ernährungsschulung, eine psychologische Begleitung und medizinische Betreuung. Allerdings stehen in Deutschland derzeit nicht genügend Therapieplätze zur Verfügung, da die Finanzierung nicht
einheitlich geregelt ist und die Adipositas-Therapie völlig unterfinanziert ist. Wir hoffen, dass sich das mit dem in Arbeit befindlichen strukturierten Behandlungsprogramm, das auch die Versorgung von betroffenen Kindern und Jugendlichen verbessern soll, ändert. Eltern, die sich über Therapieangebote informieren möchten, finden Adressen auf der Website der Deutschen Adipositas-Gesellschaft. Bei Kindern, die noch im Wachstum sind, reicht es oft schon aus, das Gewicht zunächst stabil zu halten. Viel lässt sich durch eine konsequente Umstellung der Ernährung erreichen, und dabei hilft eine ambulante Ernährungstherapie. Fünf Sitzungen bezahlt die Krankenkasse bei ärztlicher Verordnung.

Und wenn ein Diabetes festgestellt wird?

Weihrauch-Blüher: Dann erfolgt die Betreuung in einem spezialisierten Zentrum im Bereich der Kinder-Diabetologie. Ziel ist, grundlegende Fähigkeiten im Umgang mit dem Diabetes zu erlernen, die Ernährung zu optimieren und auch mehr Bewegung im Alltag zu integrieren. Manche Jugendliche schaffen es sogar, durch Gewichtsabnahme den Diabetes zurückzudrängen. Das kann besonders in den ersten Jahren nach Diagnose gelingen. Dennoch sollte an erster Stelle die Prävention stehen. Wenn wir durch entschlossenes politisches Handeln den weiteren Anstieg der Adipositas stoppen könnten, wäre das schon ein Erfolg, wozu sich mittlerweile auch die Bundesregierung bekannt hat.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Katrin Faßnacht-Lee.

 

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