Katrin Faßnacht-Lee
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01.09.2022
"Wenn ich nochmal die Chance hätte, würde ich meine Zuckerwerte von Anfang an besser im Blick behalten", sagt Walter Staab. Der 63-Jährige schaut auf bewegte vier Jahre zurück: ein rascher Verlust der Sehstärke, Eingriffe am Auge, die Amputation dreier Zehen und das Einsetzen von Stents zur besseren Durchblutung im rechten Bein. Er hatte einmal einen Langzeitblutzuckerwert von 13. Aktuell geht es ihm besser. Die Sehstärke ist zurück auf mehr als 50 Prozent, er kann wieder arbeiten und die Entzündungen an den Füßen haben sich beruhigt.
Zu selten bei Kontrollterminen
Nicht jeder wird von seinem Körper so unsanft auf zu viel Zucker im Blut hingewiesen. Doch hohe Werte darf man nicht unterschätzen: "Ich habe anfangs den Fehler gemacht, die Krankheit nicht ernst zu nehmen. Als ich mit Anfang 50 die Diagnose Typ-2-Diabetes bekam, habe ich meine Tabletten nur unregelmäßig genommen und war selten bei den Kontrollterminen", berichtet Staab. Ein sehr menschlicher Fehler, der auch deshalb leicht passiert, weil man den Diabetes anfangs gar nicht spürt. Das bestätigt auch Professor Dr. Thomas Haak, Diabetologe und Chefarzt der Diabetes-Klinik in Bad Mergentheim: "Hohe Blutzuckerwerte sind häufig erstaunlich symptomarm. Oft erst bei über 300 mg/dl kann es bei manchen Patienten zu Symptomen wie Müdigkeit, vorübergehenden Sehstörungen oder verminderter Leistungsfähigkeit kommen."
Da beim Diabetes kein Tag wie der andere verläuft, sind hohe Werte hin und wieder normal. Haak beruhigt: "Sind sie nur kurzzeitig erhöht, beispielsweise im Rahmen einer Erkältung, bei Grippe oder starkem Stress, ist das nicht weiter tragisch." Dauerhaft hohe Werte, die sich über 180 mg/dl einpendeln, hinterlassen jedoch oft bleibende Spuren. So können im Lauf von acht bis zehn Jahren Folgeschäden an Augen, Nieren, Füßen und dem Herz-Kreislauf-System entstehen.
Ernährung, Bewegung, Medikamente
Die gute Nachricht: Mit der richtigen Therapie lassen sich schlechte Werte in den Griff bekommen und weitere Schäden stark reduzieren. Die Ernährung spielt dabei sicherlich eine Rolle. Eine Schulung in der Diabetespraxis unterstützt, die Zusammenhänge besser zu verstehen und sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. "Oft hilft auch eine Therapieanpassung. Zum Beispiel mit einer Kombination verschiedener Medikamente. Außerdem trägt, vor allem bei Typ-2-Diabetes, Bewegung deutlich dazu bei, hohe Werte zu senken", berichtet Haak. Heutzutage stehen eine Reihe moderner Präparate zur Verfügung, die mitunter nicht nur den Blutzucker senken, sondern auch das Gewicht und das Risiko für Herz- und Nierenprobleme. Das Spritzen von Insulin ist eine weitere Therapieoption.
Lassen sich die Blutzuckerwerte im Alltag nicht in den Griff bekommen, hilft ein stationärer Aufenthalt im Krankenhaus oder in einer Diabetesfachklinik. Haak: "Dann lässt sich untersuchen, welche Faktoren Ursache der hohen Werte sind. Das können beispielsweise Fehler bei der Einschätzung von Kohlenhydraten und Mengen sein, aber auch Probleme bei der Umsetzung der Therapie oder Stress." Auch eine – manchmal auch nur vorübergehende – Therapie mit Insulin kann helfen, die Werte effektiv zu senken. Walter Staabs neue Therapie funktioniert gut. Den Langzeitblutzuckerwert konnte er fast halbieren.