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Niklas Kaul bei Olympia: "Zehnkampf ist mehr als das, was man im Fernsehen sieht“

aponet.de  |  01.08.2024

Niklas Kaul wurde mit 21 Jahren jüngster Weltmeister im Zehnkampf aller Zeiten. Bei den Europameisterschaften in Rom Mitte Juni verfehlte er nur knapp das Treppchen. Was er sich für die Olympischen Spiele in Paris vorgenommen hat und warum er dieses Jahr besonders fit sein sollte, verrät er im Interview.

Zehnkämpfer Niklas Kaul wirft einen Speer.
Speerwurf: Das ist die Lieblingsdisziplin von Zehnkämpfer Niklas Kaul.
© Sebastian Kraft / Red Bull Content Pool

Herr Kaul, Sie sind jetzt 26 Jahre alt. Welches ist für einen Zehnkämpfer das beste Alter?

Normalerweise sagt man so Mitte-Ende zwanzig. Aber das ist total individuell. Frank Busemann hatte seinen besten Zehnkampf, so wie ich bisher auch mit 21 gemacht. Aber ich hoffe natürlich, dass bei mir das Beste noch kommt.

Nach einem erfolgreichen 2022 hatten Sie ja im letzten Jahr ziemlich viel Verletzungspech. Wie haben Sie sich zurückgekämpft?

Meine Sprunggelenke haben sich ein wenig als wunder Punkt herauskristallisiert. Das ist ein Bereich, auf den ich extra Augenmerk legen musste. Deshalb habe ich in der Vorbereitung den Hochsprung beispielsweise von beiden Seiten trainiert. Generell habe ich viele allgemeine Sprünge gemacht, um mich an die Belastung zu gewöhnen.

Haben Sie ansonsten dieses Jahr in der Vorbereitung auf Olympia etwas anders gemacht als bisher?

Ich habe tatsächlich einen höheren Trainingsumfang als die Jahre zuvor. Ich nehme mir einfach mehr Zeit fürs Training, habe zusätzlich noch einen Schwerpunkt im Krafttrainings- und eben im Sprungbereich gesetzt. Das geht, weil ich mein Studium erstmals hinten angestellt habe. Ich studiere Physik und Sport auf Lehramt und da sieht es momentan mit den Berufsaussichten sehr gut aus. Und da der Sport ja von heute auf morgen vorbei sein kann, dachte ich: Die Chance mit Olympia möchte ich nochmal nutzen.

Ging denn sonst die Uni immer vor?

Naja, letztes Jahr habe ich eineinhalb Wochen vor Budapest noch meine letzte Physikprüfung gemacht. Das hat natürlich nicht ganz so super geklappt, wenn man das im Nachhinein betrachtet (lacht).

Die meisten Athleten bereiten sich ja auf ein oder maximal zwei Disziplinen vor. Wie schafft man denn das Pensum eines Zehnkämpfers überhaupt?

Der Umfang ist schon sehr hoch und wir haben im Vergleich zu den Spezialisten natürlich nicht so viel Zeit in den einzelnen Techniken. Im Prinzip versuche ich, jede Disziplin einmal in der Woche unterzubringen. Da muss man schon ein paar Stunden im Training abreißen. In der Vorbereitung habe ich dreimal die Woche zwei Trainingseinheiten und dreimal die Woche eine Trainingseinheit. Ein Tag bleibt frei. So komme ich schon häufiger auf fünf Stunden Training pro Tag. Dann kommt noch regelmäßig Physiotherapie hinzu. Im Trainingslager steigt der Trainingsumfang auf sechs bis sieben Stunden am Tag. Mehr kann man seinem Körper aber auch nicht zumuten. Jedenfalls nicht in der Leichtathletik. Wir haben ja diese kurzen, harten Belastungen auf Gelenke und Muskulatur. Dadurch steigt nach einer gewissen Zeit das Verletzungsrisiko und man hat keinen Trainingseffekt mehr.

Machen Sie außerdem noch etwas, um fit zu bleiben?

Ich achte sehr auf mein Essen. Denn es bringt nichts, viel zu trainieren und sich dann schlecht zu ernähren. Daher kochen meine Freundin und ich in der Regel zweimal am Tag frisch, möglichst eiweißreich, aber ich achte auch auf Ballaststoffe und alle anderen Bestandteile. Das ist natürlich mit einem großen Aufwand verbunden, den man in einem normalen Berufsalltag so überhaupt nicht schaffen würde. Aber das ist für mich eben auch Bestandteil meines Sports.

Und jetzt die Stunde der Wahrheit: Welche Disziplinen mögen Sie, welche können Sie weniger leiden?

Der Speerwurf ist ganz klar meine Lieblingsdisziplin mit der ich auch am meisten Zeit verbracht habe und das beste Technikverständnis mitbringe. Aber ich mag auch zum Beispiel Hürdenlauf, Hochspringen oder Diskuswerfen sehr gern. Am schwersten fällt mir das Sprinten. Also gefühlt habe ich immernoch nicht verstanden, wie es funktioniert.

Sie haben nicht verstanden, wie man schnell läuft?

Ja. Ich schaffe es noch nicht, beim vollen Sprinten tatsächlich entspannt zu laufen. Und das ist ja immer so ein bisschen die Krux. Das habe ich irgendwie noch nicht ganz durchblickt. Und dann gibt es natürlich auch noch Disziplinen, die an sich gut funktionieren, aber die halt auch einfach wehtun. Das sind die 400 und die 1500 Meter. Die machen schon Spaß, aber sind natürlich immer ein bisschen mit Schmerzen verbunden.

Trotz großem Trainingspensum und Schmerzen haben Sie sich für den Zehnkampf entschieden. Was fasziniert Sie daran?

Nichts gegen die Spezialisten, aber es ist eben mehr als nur für einen Lauf oder ein paar Sprünge im Stadion zu sein. Der Zehnkampf dauert zwei Tage und es ist ganz lange nicht klar, wie der Wettkampf am Ende ausgeht. Außerdem geht es ja nicht nur um die zehn Disziplinen, sondern auch ganz viel dazwischen: Wie regeneriere ich zwischen den zwei Tagen, wie habe ich meine Nerven im Griff, wenn ich schon körperlich platt bin? Wie schaffe ich es, richtig zu essen? Da spielen ja ganz viele Dinge eine Rolle, die mir in der Einzeldisziplin total fehlen würden. Zehnkampf ist einfach mehr als das, was man dann vielleicht am Ende im Fernsehen sieht.

Apropos Fernsehen: Der Zehnkampf in Paris wird für das deutsche Publikum ja ganz besonders spannend werden, da neben Ihnen noch ein weiterer Anwärter aufs Treppchen, Leo Neugebauer, an den Start geht. Besteht zwischen Ihnen eine ganz besondere Konkurrenz?

Würde ich nicht sagen. Wir haben eher eine bisschen engere Verbindung als jetzt zu Zehnkämpfern, die ich sonst gar nicht näher kenne. Dennoch will am Ende, wenn wir im Block sitzen oder an der Anlage stehen, natürlich jeder erst mal für sich den bestmöglichen Zehnkampf machen.

Was haben Sie sich für Paris vorgenommen?

Keine Platzierung. Weil ich das auch nicht ganz beeinflussen kann. Ich würde bei der ersten Disziplin, den 100 Metern, aber gern in einer körperlichen Verfassung im Startblock sitzen, in der ich noch nie einen Zehnkampf bestritten habe.

Dafür wünschen wir Ihnen alles Gute! Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Katrin Faßnacht-Lee.

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