Raúl Krauthausen: "Ich bin wie jeder andere Mensch"
aponet.de
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01.12.2022
Raúl Krauthausen setzt sich als Inklusions- Aktivist dafür ein, dass Menschen mit Behinderung ganz selbst verständlich zur Gesellschaft gehören. Seine Podcasts nimmt er gern im Aufzug auf.
Wie möchten Sie von den Mitmenschen wahr- und angenommen werden?
Raúl Krauthausen: Wie jeder andere Mensch. Diese Frage macht mich schon zu etwas Besonderem, das ich gar nicht sein möchte.
Sie sind in Peru geboren. Warum kamen Sie mit Ihren Eltern nach Deutschland?
Krauthausen: Meine Mutter ist Deutsche, mein Vater Peruaner. Ich bin in Peru geboren und meine Eltern sind dann mit mir hierhergezogen. Das geschah im Grunde aber nicht aus medizinischen Gründen – also, weil ich eine Behinderung habe – sondern weil sie wollten, dass ich eine gute Bildung genieße. Wie es mir ergangen wäre, wenn wir in Peru geblieben wären, kann ich nicht sagen. Wir kennen ja immer nur die eine Seite. Ich bin in Deutschland sozialisiert und zufrieden hier. Mein peruanischer Anteil beschränkt sich darauf, dass ich ein wenig Spanisch spreche.
Wo funktioniert Inklusion im Alltag aus Ihrer Erfahrung heraus überhaupt nicht?
Krauthausen: Das Problem in Deutschland ist, dass Nicht-Behinderte definieren, wo Barrierefreiheit, Inklusion und Teilhabe anfangen und wo sie aufhören. Vieles geht angeblich nicht und man fragt sich, wer das eigentlich entscheidet? Menschen mit Behinderung werden an Diskussionen darüber meist nicht beteiligt. Ich persönlich möchte beispielsweise nicht, dass mein*e Nachbar*in das Recht hat sich aufzuregen, dass ein*e Busfahrer*in eine Person im Rollstuhl nicht einsteigen lässt, damit die Fahrt im Zeitplan bleibt. Wenn der Bus sich deshalb verspätet, dann ist es halt so. Das sollte entsprechend von vorneherein eingeplant werden.
In welchen Bereichen sehen Sie deutlichen Verbesserungsbedarf für Menschen mit Behinderung?
Krauthausen: Bei der Mobilität, wie das eben geschilderte Beispiel zeigt. Die Bahn und der öffentliche Nahverkehr sind für Menschen mit Behinderung häufig nicht zugänglich. Außerdem gibt es riesige Schwierigkeiten im Bildungsbereich: In der Schule bekommen Kinder immer häufiger Diagnosen wie ADHS (Aufmerksamkeitsdefi zit-Hyperaktivitätsstörung, Anm. d. Red.), Autismus oder Lernbehinderung. Die Lehrenden ziehen sich darauf zurück, dass sie sich damit nicht auskennen, weil sie dafür nicht ausgebildet wurden. Dann werden diese Kinder in Förderschulen gesteckt. Ich meine, dass nicht hinter jedem Schüler mit Behinderung eine Fachkraft stehen muss. Die Eltern sind für den Umgang mit ihren Kindern ja auch nicht ausgebildet. Gemeinsame Bildung ist für mich ein Grundrecht, über das man nicht ständig diskutieren muss. Ebenso wie das Recht auf einen Arbeitsplatz außerhalb einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Dafür setze ich mich ein.
Welche Lösungsansätze gibt es aus Ihrer Sicht?
Krauthausen: Ängste oder Unsicherheit gegenüber Menschen mit Behinderung kann man meiner Meinung nach nur durch Begegnungen nehmen, nicht durch Theorien oder Aufklärung über Plakate. In dem Moment, in dem Menschen mit Behinderung ganz selbstverständlich in Eisdielen oder Schulklassen sitzen, zum Beispiel auch als Lehrer*innen, und anderen begegnen, wären wir im Hinblick auf Inklusion einen Riesenschritt weiter.
Wie sieht es in diesem Zusammenhang mit Apotheken aus?
Krauthausen: Ich finde, Apotheken müssten für Menschen wie mich, die zum Beispiel im Rollstuhl sitzen, besser zugänglich sein. Es gibt doch oft Stufen oder die Apotheke, die nachts Dienst hat, ist weit weg und muss über eine Klingel oder ein Kläppchen erreicht werden, die ich aus meiner niedrigeren Position nicht erreichen kann. Und ich möchte ja nicht ständig Aufmerksamkeit erreichen, sondern einfach Kunde sein.
Welche Projekte liegen Ihnen derzeit besonders am Herzen?
Krauthausen: Ich finde, Apotheken müssten für Menschen wie mich, die zum Beispiel im Rollstuhl sitzen, besser zugänglich sein. Es gibt doch oft Stufen oder die Apotheke, die nachts Dienst hat, ist weit weg und muss über eine Klingel oder ein Kläppchen erreicht werden, die ich aus meiner niedrigeren Position nicht erreichen kann. Und ich möchte ja nicht ständig Aufmerksamkeit erreichen, sondern einfach Kunde sein.
Wie sieht es in diesem Zusammenhang mit Apotheken aus?
Krauthausen: Momentan produziere ich gern Podcasts. Dafür habe ich zwei Reihen ins Leben gerufen. In der einen geht es um Aktivismus. Für die andere fahre ich mit Menschen im Aufzug und befrage sie. Ich habe Spaß daran, mir zu überlegen, was ich von einer bestimmten Person immer schon mal wissen wollte. Ein Beispiel dafür ist Sabine Werth, Vorsitzende der Berliner Tafel. Das ist die erste Tafel in Deutschland. Ich habe mich mit ihr darüber unterhalten, ob sie es als Erfolg ansieht, wenn die Tafel sich immer mehr ausweitet – oder ob das nicht eher als Warnzeichen gedeutet werden muss. Denn je größer die Tafel ist, desto mehr Bedürftige gibt es ja. Die Antwort kann man in dem Podcast auf meiner Internetseite hören (siehe Kasten).
Was machen Sie, wenn Sie mal abschalten und entspannen möchten, am liebsten?
Krauthausen: Alle Bildschirme ausschalten und spazieren gehen. Das fällt mir schwer, weil die digitale Arbeit ja ein Teil meines Lebens ist. Aber ich bin auch gern in meinem Berliner Kiez Kreuzberg unterwegs und treff e mich mit Leuten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Natascha Plankermann.
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