Reinhold Beckmann: "Schreiben ist einsamer Sport"

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Reinhold Beckmann ist als TV-Journalist bekannt geworden, überzeugt aber auch auf anderen Gebieten. In einem Buch macht er jetzt anhand der Lebenswege seiner Mutter und ihrer vier Brüder ein düsteres Kapitel deutscher Geschichte greifbar.

Reinhold Beckmann.
Reinhold Beckmann erzählt in seinem neuen Buch die Geschichte seiner Familie.
© Steven Haberland

Herr Beckmann, womit verbringen Sie beruflich heutzutage die meiste Zeit?

Na ja, es ist immer noch eine Menge zu tun. Zum einen die Arbeit bei beckground tv: Wir produzieren dort Fernsehsendungen wie »Inas Nacht«, "Tietjen campt" oder auch politische Dokumentationen. Zudem engagiere ich mich in meiner Organisation Nestwerk für Jugendliche in sozial benachteiligten Stadtteilen Hamburgs. Dabei geht es überwiegend um Sport- und Musikprojekte. Und dann mache ich selbst Musik. Mit meinen Bandkollegen trete ich 30 bis 40 Mal im Jahr auf. Das ist für mich ein großes Abenteuer, denn es gibt nichts Schöneres, als ein eigenes Programm auf der Bühne zu spielen.

Das Bücherschreiben haben Sie noch gar nicht erwähnt.

Das begann tatsächlich durch die Musik. Aufgrund meines Songs "Vier Brüder", sprachen mich Buchverlage an, ob ich mir vorstellen könne, die Geschichte meiner Mutter Aenne und ihrer vier im Krieg gefallenen Brüder aufzuschreiben. Eigentlich hatte ich das schon länger vor und dachte mir: dann also jetzt. Aber ich hatte nicht erwartet, dass der Weg so hart werden würde. Ein Buch zu schreiben ist einsamer Sport. Noch mehr als beim Songschreiben muss man sich allein mit sich selbst mit den Dingen auseinandersetzen. Da gab es Momente, in denen ich zwischendurch zur Apotheke gehen musste, um mir etwas zum Durchhalten zu holen. (lacht)

Grundlage des Buchs sind etwa 100 Feldpostbriefe Ihrer Onkel, die Ihnen Ihre Mutter kurz vor ihrem Tod gab. Haben Sie daraus Dinge erfahren, die Sie vorher nicht wussten?

Ja, ich habe ein völlig neues Bild meiner vier Onkel gewonnen, die ich ja nur aus den Erzählungen meiner Mutter kannte. Ich habe dadurch zum Beispiel  meinen Lieblingsonkel entdeckt. Es ist Franz, der älteste, der nach dem Verlust seiner beiden Brüder Hans und Alfons hinreißende, mitfühlende Briefe an meine Mutter geschrieben hat. Er hat dem Krieg nie etwas abgewinnen können. In den Briefen hat er sich getraut, seine Abscheu gegenüber dem Ganzen zu formulieren. Das war damals nicht ungefährlich, denn es gab die Feldpost-Prüfstelle, die immer wieder stichprobenartig Briefe kontrolliert hat. Es ist tragisch, dass auch er noch kurz vor Kriegsende ums Leben kam, nachdem er erst wenige Wochen vorher seine große Liebe geheiratet hatte. Zum Glück hat meine Mutter uns vieles aus dieser Zeit erzählt und nicht geschwiegen, wie so manche ihrer Generation.

Ich hatte immer den Eindruck, dass das Schweigen eher die Kriegsrückkehrer betraf, also die Männer.

Ich kenne das auch von Frauen, denen es irgendwann genug war. In den Familien wurde der Schmerz dann einfach ausgeklammert. Meine Mutter hat aber dafür gesorgt, dass ihre vier Brüder gefühlt bei uns immer mit am Tisch saßen. Sie hatte aus Einzelfotos eine Fotomontage anfertigen lassen, auf der alle vier zusammen zu sehen sind. Dieses Bild hing bei uns zu Hause in mehreren Räumen. Mein Vater, der im Zweiten Weltkrieg in Russland einen Lungenschuss erlitten hatte, hat erst viel später über seine Erlebnisse geredet.

Haben Sie sich, wie viele junge Leute in den 60er-/70er-Jahren, mit Ihrem Vater auch über den Krieg auseinandergesetzt?

Ja, von meinem 14. bis fast zum 18. Lebensjahr hatten wir eine harte Zeit miteinander. Es sind Sätze von ihm gekommen wie: "Du kannst Dir ja gar nicht vorstellen, was der Hitler alles geschafft hat." Mein Vater war beileibe kein Nazi. Aber solche Aussagen konnte ich teilweise gar nicht richtig einordnen oder wollte ihn auch nicht verstehen. Das ist mir beim Schreiben des Buchs noch mal aufgefallen. Da bin ich ihm gegenüber nicht immer gerecht gewesen. Aber im Laufe der Jahre haben wir doch ein wirklich gutes Vater-Sohn-Verhältnis entwickelt.

War Ihnen beim Schreiben bewusst, dass das nicht nur Ihre Familiengeschichte ist, sondern dass Sie für viele in Deutschland sprechen?

Ja, das war mir bewusst, weil ich mich noch gut an die Reaktionen auf den Song "Vier Brüder" erinnere, der vor zwei Jahren erschien. Diese vielen Kommentare bei YouTube, in denen Menschen ihre eigenen Familiengeschichten erzählten. Das hat mich sehr berührt. Und mal sehen, was jetzt passiert. Meine Onkel waren einfache Jungs vom Dorf, mit ihren Wünschen und Hoffnungen, mal eine Familie zu gründen, eine gute Zukunft zu haben. Ich glaube, gerade auch diese ›alltäglichen Leben‹ müssen wir anschauen, um die Zeit damals besser verstehen zu können.

Im Apotheken Magazin kommen wir nicht umhin, auch über Ihre Gesundheit zu sprechen. Wie halten Sie sich fit?

Zwei Kreuzbandrisse haben meine ›Fußballerkarriere‹ abrupt beendet. Weil es mir selbst in meiner Hobbymannschaft nicht mehr möglich war zu spielen, musste ich mir neue Sportarten suchen. Eine davon ist Schwimmen. Früher habe ich es gehasst, aber inzwischen liebe ich es. Das immer gleiche Atmen beim Kraulen – alle drei Züge – bringt mich in so einen entspannten, meditativen Zustand. Heute kann ich gepflegt ein bis zwei Kilometer kraulen. Zudem habe ich das Radfahren für mich entdeckt. Ich bin ein leidenschaftlicher Rennradfahrer geworden. Zusammen mit Freunden fahren wir hier und da auch ein paar Touren querfeldein. In den nächsten Tagen geht´s von München nach Venedig. Drücken Sie mir die Daumen, dass ich gut über den Brenner komme.

Auf jeden Fall! Alles Gute dafür und vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Rüdiger Freund.

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