Tamara Berikoven
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15.10.2020
Oft scheint es nach den ersten Worten, als entstünden ganze Sätze wie von selbst. Doch auch wenn Kinder Sprache scheinbar ohne Mühe erwerben, ist sie doch eine komplexe Leistung. Im ersten Lebensjahr beginnt das Kind, erste Worte zu sprechen, mit vier bis fünf Jahren kann es sich in einfachen Sätzen gut verständlich artikulieren. Kommt es in die Schule, verfügt es über einen aktiven Wortschatz von 5500 bis 6000 Wörtern, die es ohne Probleme verwendet. Der passive Wortschatz beträgt rund 20000.
Liegt eine Sprachstörung vor, erfolgt der Spracherwerb dagegen zu spät, unvollständig oder zu langsam. Auf diese Auffälligkeiten sollten Eltern achten:
Aussprache: Kann das Kind bestimmte Silben nicht deutlich aussprechen, lässt es sie weg oder ersetzt es sie durch andere? Beispiel: "Tannst du die Sleife dinden?" (Kannst du die Schleife binden?)
Wortschatz: Es fällt dem Kind schwer, sich die Bedeutung von Wörtern zu merken oder sie gezielt einzusetzen. Braucht es lange, um Worte zu finden? Umschreibt oder ersetzt es sie oft? Nutzt es Überbegriffe, statt zu differenzieren? Beispiel: "Gib das Dings."
Grammatik: Vermeidet das Kind noch im Kindergartenalter Sätze mit mehreren Worten? Vertauscht es Satzglieder? Beugt es Verben nicht? Beispiel: "Ich machen."
Sprachverständnis: Kann das Schulkind Aufgaben, die mehrere Bereiche betreffen, schlecht verstehen? Antwortet es schlecht auf Inhaltsfragen? Kann es schlecht nacherzählen?
Redefluss: Bis zum vierten Lebensjahr gilt das sogenannte Entwicklungsstottern als normal. Stottert das Kind auch danach? Unterbrechen noch beim Schulkind Pausen oder Zwischenlaute den Redefluss? Beispiel: Auffallend häufiges "äh", "hm", "und".
Kommunikation öffnet den Menschen wie ein Schlüssel die Türen zu ihren wichtigsten Lebensbereichen. Schon im Kindergarten kann sich eine andere Aussprache oder angebliche "Maulfaulheit" zu einem echten Problem auswachsen, das im schlimmsten Fall die gesamte Zukunft eines Kindes nachhaltig beeinträchtigt. Schreib-, Lern- und Verhaltensstörungen können sich daraus entwickeln. Um so wichtiger ist es, die Auffälligkeiten ernst zu nehmen. Die Gründe einer gestörten Sprachentwicklung unterscheiden sich von Kind zu Kind. Es kommen organische Ursachen infrage, beispielsweise wenn eine Kieferspalte die Artikulation erschwert. Auch genetische, psychische oder soziale Faktoren beeinflussen das Sprechen.
Was tun bei einer Sprachstörung?
Da es für Eltern nicht leicht fällt zu beurteilen, ob sich ihr Kind gerade in einer Stagnationsphase vor dem nächsten Entwicklungsschub befindet oder ob eine Störung der Sprachentwicklung vorliegt, sollten sie es frühzeitig untersuchen lassen. So lässt sich feststellen, ob Behandlungsbedarf besteht. Die erste Adresse ist der Kinderarzt. Im Verdachtsfall verordnet er eine logopädische Untersuchung oder es erfolgt eine Überweisung zum Facharzt, eine Empfehlung zur sprachheilpädagogischen oder psychologischen Behandlung. Egal, ob eine spezifische Sprachentwicklungsstörung oder eine sogenannte "umgebungsbedingte Sprachauffälligkeit" vorliegt: Wie sich die Sprachfähigkeit des Kindes entwickelt, können Eltern durch ein sprachanregendes Umfeld und therapeutische Unterstützung positiv beeinflussen.
Dieser Artikel ist in der Neuen Apotheken Illustrierten vom 15. Oktober 2020 erschienen.