30.07.2018
Lange wurde angenommen, dass zu wenig Akkommodation beim Lesen das scharfe Bild etwas hinter die Netzhaut verlegt. Dies führe dazu, dass das Auge schneller wächst. Unter Akkomodation versteht man die dynamische Scharfeinstellung des Auges. Das Team um Andrea C. Aleman fand nun einen anderen Grund: Anders als eine Digitalkamera, die jeden Pixel ausliest, misst die Netzhaut hauptsächlich Unterschiede zwischen benachbarten „Pixeln“, den Photorezeptoren. Hierfür gibt es höher geschaltete Zellen, die die Informationen aus Photorezeptoren ihrer Umgebung sammeln und die bewerten, ob in ihrem rezeptiven Feld die Mitte heller und die Umgebung dunkler ist. Diese heißen ON-Zellen. Die OFF-Zellen dagegen bewerten, ob die Mitte dunkler und die Umgebung heller ist. Aus Tierexperimenten war bereits bekannt, dass die Stimulation der ON-Zellen das Augenwachstum eher hemmen, die Stimulation der OFF-Zellen es aber verstärken kann.
Bei normalen Seherfahrungen werden beide Typen ähnlich stark gereizt. Beim Lesen ist das aber nicht so. Mithilfe einer Reizstärkemessung stellten die Tübinger Forscher fest, dass dunkler Text auf hellem Hintergrund hauptsächlich die OFF-Zellen reizt, während heller Text auf dunklem Hintergrund hauptsächlich die ON-Zellen aktiviert. Bei Studienteilnehmern, die zuvor Texte gelesen hatten, veränderte sich zudem die Dicke der Aderhaut. Diese liegt hinter der Netzhaut und ihre Dicke sagt das Wachstum des Auges voraus: Wird sie dünner, wächst er, wird sie dicker, bleibt das Augenwachstum gehemmt. Aleman und ihre Kollegen konnten zeigen, dass bereits nach 30 Minuten Lesen die Aderhaut dünner wurde, wenn schwarzer Text gelesen wurde, und dicker bei umgekehrtem Kontrast.
Den Textkontrast umzukehren, wäre demnach eine einfache Maßnahme, die Entwicklung der Kurzsichtigkeit aufzuhalten – zumindest beim Lesen auf Tablet oder Computer. Diese Strategie gegen die Entwicklung von Kurzsichtigkeit müsse jedoch noch verifiziert werden. Dazu haben die Tübinger Wissenschaftler bereits eine Studie mit Schulkindern geplant, heißt es in einer Pressemitteilung der Universitätsklinik.
ch/<link www.pharmazeutische-zeitung.de>PZ/NK