Herr Professor Teipel, wie geht man bei der Planung der medikamentösen Behandlung einer Alzheimer-Demenz vor?
Teipel: Ehe man sich Gedanken macht, welche Medikamente man bei einer entsprechenden Diagnose empfehlen möchte, sollte man sich zunächst überlegen, welche Medikamente man weglassen kann. Viele alte Menschen bekommen nämlich eine Vielzahl von Arzneimitteln, die nicht immer gut für das Gedächtnis sind. In einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie, bei der etwa 500 ältere Menschen zu Hause von Krankenschwestern besucht wurden, konnten wir feststellen, dass nur sieben Prozent kein Problem mit ihrer Medikation hatten. Betroffene wendeten zum Beispiel Arzneimittel an, die stark anticholinerg wirken, also den unter anderem für das Gedächtnis wichtigen Hirnbotenstoff Acetylcholin beeinträchtigen. Das bewirken zum Beispiel trizyklische Antidepressiva oder bestimmte Mittel gegen Prostatabeschwerden. Eine Kombination mehrerer anticholinerg wirkender Mittel ist besonders problematisch. Darauf können bei Bedarf auch Apotheker hinweisen, speziell dann, wenn ältere Patienten Rezepte einlösen.
Welche Arzneien setzt man gegen die Symptome ein, was bewirken sie?
Teipel: Es gibt hierfür zwei Substanzgruppen. Eine davon sind die Cholinesterase-Hemmer mit den drei Wirkstoffen Donepezil, Galantamin und Rivastigmin, die entsprechend zugelassen sind und die man bei leichter bis mittelgradiger Alzheimer-Demenz von Beginn an einnehmen kann. Diese Wirkstoffe verlangsamen den Abbau des Hirnbotenstoffes Acetylcholin. Es gilt als gut belegt, dass sie das Voranschreiten der Symptome bremsen. Die Substanzen können wahrscheinlich auch mit dazu beitragen, den Übergang in ein Pflegeheim zu verzögern. Die Mittel haben aber auch Nebenwirkungen, besonders auf Magen und Darm. Bei fortgeschrittener Alzheimer-Erkrankung ist der Wirkstoff Memantin zugelassen. Auch er wirkt symptomatisch und bremst das Voranschreiten der Symptome. Alle diese Substanzen greifen in den Krankheitsprozess aber nicht ursächlich ein, sind demnach keine Heilmittel, können aber das Voranschreiten der Beschwerden um ein bis zwei Jahre verzögern.
Was kann außer Medikamenten im Alltag der Patienten noch helfen?
Teipel: Es gibt es gute Hinweise, dass gerade in frühen Krankheitsstadien Sport hilft, vor allem Ausdauersport. Einmal weil das die Herz-Kreislauf-Fitness erhöht, zum anderen nimmt Sport direkt Einfluss auf Alzheimer-Veränderungen im Gehirn. Gedächtnistraining hilft im Stadium der Demenz kaum noch und frustriert Patienten eher. Kognitive Rehabilitation oder Stimulation eignen sich besser. Man trainiert dabei alltagsrelevante Aktivitäten. Bestehen etwa Schwierigkeiten, nach Hause zu finden, kann man technische Hilfsmittel zur besseren Orientierung nutzen. So bleib man länger unabhängig. Das Motto lautet, nicht verlorene Fähigkeiten zu trainieren, sondern den Umgang mit Einschränkungen zu verbessern und sie, wo möglich, auszugleichen. Das steigert die Lebensqualität und ermöglicht die Erfahrung von Selbstwirksamkeit − Patienten erleben positiv, was sie noch gut können. In der Wohnung sollte man unter anderem Stolperfallen wie lose liegende Kabel oder Teppichkanten beseitigen. Auch Markierungen an Schubladen helfen, um zu wissen, was sich darin befindet. Besonders wichtig ist auch eine gute Beratung von Angehörigen zum Beispiel darüber, wie sie mit Verhaltensänderungen von Demenz-Patienten umgehen sollen. Das bessert die Lebensqualität der Angehörigen und wirkt darüber auch positiv auf die Patienten.
Wie lässt sich wahnhaftes Verhalten behandeln, wann nutzt man dagegen gerichtete Medikamente, also Neuroleptika?
Teipel: Der Grund für den Einsatz von Neuroleptika kann zum Beispiel darin bestehen, dass Patienten wegen wahnhafter Schübe zu Hause bedrohlich auftreten. Weniger drastisch sind Fälle, in denen Patienten etwa berichten, dass sie bestohlen werden oder andere ihnen Übel wollen. Hier kann man durch intensive Beratung der Angehörigen und des Umfeldes versuchen, solche leichteren Probleme zu tolerieren, wenn der Patient nicht stark darunter leidet. Wir hatten zum Beispiel einen Patienten mit dem Wahn, dass Nachbarn seinen Gartenschuppen ausräumen. Er hat sie auch beschuldigt. Für die Ehefrau war das sehr peinlich. Nach einer Beratung der Dame, die dann auch die Nachbarn über die Umstände informierte, konnten alle mit dem Verhalten des Patienten umgehen. So kann man Neuroleptika vermeiden. Bei stark ausgeprägtem Wahn aber geht es nicht immer ohne. Die Neuroleptika sollten wegen der nicht immer einfachen Auswahl der Wirkstoffe, der richtigen Dosis und wegen zu bedenkender Nebenwirkungen zunächst ein Facharzt für Psychiatrie oder Geriatrie verordnen. Grundsätzlich sind Patienten und Angehörige darüber aufzuklären, dass unter einer Neuroleptika-Therapie die Sterblichkeit erhöht ist.
Gibt es bei der Suche nach besseren Therapien gegen Alzheimer neue Ansätze?
Teipel: Eine Übersicht aus dem letzten Jahr zeigt, dass sich mehrere hundert verschiedene Wirkstoffe in verschiedenen Phasen der klinischen Erprobung befinden. Davon haben über die Hälfte das Ziel, in den Mechanismus der Krankheit einzugreifen. Anfang des Jahres sind allerdings zwei Studien gestoppt worden, in denen gegen die für das Gehirn schädlichen Amyloid-Ablagerungen vorgegangen wurde. Es bestand keine Aussicht, eine ausreichende Wirksamkeit zu belegen. Aktuell laufen aber noch Studien mit Antikörpern gegen Beta-Amyloid. Die Hoffnung ist hier allerdings etwas gesunken. Es gibt zudem die Möglichkeit, neben Amyloid-Ablagerungen andere Veränderungen bei der Alzheimer-Erkrankung anzugehen, so etwa das sich bei Alzheimer in Nervenzellen ablagernde Tau-Protein. Dazu liegen aber noch keine Ergebnisse aus sogenannten Phase-3-Studien vor. Außerdem versucht man, die Behandlung am jeweiligen Krankheitsstadium auszurichten. Die Idee ist, mit Wirkstoffen zu beginnen, die die Amyloid-Bildung bremsen, und dann auf Substanzen überzugehen, die aus der Amyloid-Bildung hervorgegangene schädliche Produkte abbauen. Grundsätzlich wird es wohl nicht nur einen Behandlungsweg für alle Patienten geben, sondern individuell angepasste Therapien ähnlich wie bei Krebs.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Dr. Frank Schäfer