Angenehm sommerliche Wärme liegt an diesem Vormittag über der Thüringer Orlasenke. Etwas erhöht am Südrand des Tals erstreckt sich eine große landwirtschaftlich genutzte Fläche, hinter der die 1000 Jahre alte Burg Ranis aus der Ebene ragt. Ohne das alte Gemäuer wäre die Aussicht eher unspektakulär, denn das Feld vor uns wirkt recht kahl. Dennoch verrät ein unverkennbarer Duft nach Kamillenblüten, welche Heilpflanze hier angebaut wird.
Wir bahnen uns den Weg über bleistiftkurze, grüne Stängel ein paar Meter ins Feld hinein. Dr. Hans-Jürgen Hannig, der vorausgeht, deutet mit der Hand Richtung Horizont. "Im Moment gibt es leider nicht so viel zu sehen, denn die Kamille ist vor ein paar Tagen abgeerntet worden." Hannig ist Leiter des Bereichs "Anbau/Züchtung" des nahegelegenen Ludwigshofs, der sich auf Heilpflanzen spezialisiert hat. Er baut zehn verschiedene Pflanzenarten an. Neben der Kamille sind dies unter anderem Baldrian, Melisse und Pfefferminze.
Spezielle Maschinen für die Heilpflanzenernte
Bei dem wenige Minuten entfernten Pfefferminzfeld, zu dem wir im Anschluss fahren, haben wir mehr Glück. Die Ernte ist gerade in vollem Gang. Zwei Personen laufen über das Feld und bücken sich von Zeit zu Zeit. Hannig erklärt, dass sie unerwünschte Kräuter herausziehen, damit diese nicht mitgeerntet werden. Ein Stück weiter fährt bereits eine Art kleiner Mähdrescher langsam Bahn um Bahn das Feld ab. Er schneidet die Pflanzen kurz über dem Boden und bläst das wertvolle "Grünzeug" durch Rohrleitungen auf die Ladefläche eines neben ihm fahrenden Traktors. Ein Großteil der Erntemaschinen sei selbst gebaut, verrät Hannig. "Die Landmaschinenindustrie bietet nur wenig an, das auf die Bedürfnisse der Heilpflanzenernte abgestimmt ist."
Rasch weiterverarbeiten
Als die Ladefläche voll ist, gibt der Traktorfahrer Gas. Jetzt muss es schnell gehen. Die Droge, wie Fachleute die geschnittenen Pflanzenteile nennen, wird so rasch wie möglich weiterverarbeitet. "Spätestens vier Stunden nach der Ernte muss die Pfefferminze getrocknet werden, denn sonst leidet die Qualität", erklärt Hannig. Mit zunehmender Zeit verfliegt nicht nur immer mehr des ätherischen Öls, das den Hauptwirkstoff der Pfefferminzblätter enthält, es setzen auch Fermentations- und Fäulnisprozesse ein, die die Droge verderben.
Wir folgen dem Traktor auf den Hof einer Trocknungsanlage, wo der Fahrer die Fracht vor einer Trockenkammer abkippt. Dort liegt buchstäblich schon haufenweise Pfefferminze, die nach und nach mit einem Greifarm gleichmäßig auf dem Boden der Trockenkammer verteilt wird. Der Boden besteht größtenteils aus einem Gitterrost, durch den später warme Luft strömt. Sie treibt die Feuchtigkeit aus den Pflanzen. Damit möglichst viel des ätherischen Öls in den Blättern bleibt, darf die Luft nicht zu heiß sein. Hannig: "Wir heizen sie nicht höher als 40 Grad Celsius. Der Trocknungsvorgang dauert dann zwar etwas länger, schont aber die Droge."
Doppelte Menge ätherisches Öl im Arzneitee
Wie viel ätherisches Öl in getrockneten Pfefferminzblättern genau enthalten sein muss, damit sie in Apotheken als Arzneitee angeboten werden dürfen, regelt das Deutsche Arzneibuch. Diese Sammlung von Vorschriften für die Qualität von Arzneimitteln fordert bei Pfefferminze mindestens 1,2 Prozent ätherisches Öl, dessen Hauptkomponente Menthol ist. Pfefferminztees im Lebensmittelhandel kommen mit lediglich 0,6 Prozent aus.
Drei bis vier Tage bleibt die Pfefferminze nun in der Kammer, bis der gewünschte Trocknungsgrad erreicht ist. Danach wird sie verpackt und bis zum nächsten Winter gelagert. Dass der Rohstoff nicht sofort weiterverarbeitet wird, hat laut Hannig seinen Grund in der Personalplanung. "Von Mai bis November wird jede Arbeitskraft auf den Feldern gebraucht, um die Pflanzen zu pflegen, Unkraut zu beseitigen und zu ernten. Vieles davon geschieht in Handarbeit. Wenn die Saison vorüber ist, haben die Landarbeiter Zeit für andere Tätigkeiten."
Nicht für den Supermarkt
Beispielsweise trennen sie im Winter noch die Blätter von den Stielen der getrockneten Pflanze, da ein Pfefferminztee nur aus Blättern besteht. Das passiert bei den großen Mengen natürlich nicht per Hand, sondern maschinell. Danach ist die Blattdroge »reif« für den Feinschnitt und das Abfüllen in Aufgussbeutel. Für den Einsatz als Arzneitee werden die Beutel in speziellen Briefchen einzeln versiegelt. So bleiben die ätherischen Öle lange erhalten. Bei Supermarkttees fehlt dieses Verpackungsdetail meist, was deutlichen Einfluss auf das Aroma hat.
Auf dieser Exkursion wird klar, wie viel Sorgfalt und Planung in einer Tasse Pfefferminztee stecken. Damit auch in den nächsten Jahren in der Orlasenke Pfefferminze wächst, die den hohen Qualitätsansprüchen der Arzneitees entspricht, werden schon heute im Schatten der Burg Ranis Stecklinge gezogen. Natürlich weitestgehend in Handarbeit.
Apotheker Rüdiger Freund