Medizin setzt uns unter Strom

Um 1900 beliebt: ein Elektrisierkoffer für zuhause. Noch heute setzen Ärzte auf spannungsreiche Medizin.

Elektrizität wurde im 18. Jahrhundert zur Linderung aller möglichen Beschwerden verwendet.
Noch heute wird in der Medizin Strom genutzt: Defibrillatoren beispielsweise können sogar Leben retten.
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"Die Beziehungsgeschichte von Elektrizität und Medizin ist uralt", weiß Professor Dr. Wolfgang U. Eckart, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Heidelberger Universität. "Bereits lange vor 1900 hatten beide eine durchaus innige Verbindung, die gleichwohl nicht immer frei von Wunderglauben, Scharlatanerie und Betrug war."

Medizin ohne Medikamente

Über die angeblich heilende Wirkung eines aufgeladenen Bernsteins schrieb bereits der römische Gelehrte Plinius. In Westafrika setzte man auf die "natürliche" Elektrizität von Zitterrochen, die in besonderen Teichen gehalten wurden. Doch Strom als fundiertes Heilmittel? Die sogenannte Medizin ohne Medikamente ging unter anderem auf den Hallenser Professor Dr. Johann Gottlob Krüger zurück. Er veröffentlichte 1744 seine "Gedanken von der Elektricität".

Er und weitere seiner Kollegen waren sich einig, dass das regelmäßige Elektrisieren den Körper gegen Krankheiten immunisiere und stärke. Konkreter wurde es rund einhundert Jahre später. Der französische Arzt Guillaume Duchenne startete seit 1847 Versuche, mit Strom Haut und Muskeln zu erregen, vor allem bei Lähmungen und Schwächezuständen. Eckart: "In der Inneren Medizin, besonders auf dem Gebiet der Neurologie, in der Psychiatrie, ja sogar in der Gynäkologie wurde elektrotherapiert, was das Zeug hielt." Mitunter trotz schwerer Nebenwirkungen wie Schwindel, Übelkeit, Erbrechen und Taubheitsgefühlen.

Elektrowerkstatt statt Arztpraxis?

Manche Arztpraxen glichen damals einer Elektrowerkstatt. Stromführende Sonden sollten alle möglichen Erkrankungen aufdecken und sogar therapieren. Doch das blieb nicht ohne Kritik. Ernst Schweninger schrieb 1906 in seiner Schrift "Der Arzt": "Unsere Ärzte sind Gelehrte! Wenn sie aber einen Kranken anfassen, dann tun sie ihm wehe, indem sie ihm beim nichtigsten Anlaß Sonden, Lampen und photographische Apparate durch alle gangbaren Körperöffnungen einführen."

Viele ließen sich dennoch weiter elektrisieren. Man kann "aus dem Koffer leben", aber kann man auch "aus dem Koffer wieder gesund werden"? In der Vorstellung der Menschen um 1900 ging das durchaus mit einem Elektrisierkoffer. Er kam nicht nur bei Kreuzschmerzen, Ohrensausen, Verstopfung, Impotenz, Plattfüßen, Schlaflosigkeit, Nervenleiden oder Rheuma zum Einsatz, er diente auch zu Verjüngungszwecken.

Koffer für Elektrokur

Bei elektromedizinischen Apparaten dieser Art wurden gläserne Elektroden erwärmt und zum Leuchten gebracht. Indem man die verschiedenen Elektroden auf die Haut aufsetzte, wurde der schwache Gleichstrom durch den menschlichen Körper geschickt, wo er seine positiven Wirkungen entfalten sollte.

Für einen Koffer zur Elektrokur in den eigenen vier Wänden musste man zwischen 30 und 160 Mark bezahlen. Ein teures Vergnügen. Zum Vergleich: Ein Elektroinstallateur verdiente um 1900 etwa 20 Pfennig pro Stunde. Vielen gut gestellten Bürgern war diese Investition damals dennoch ihre Gesundheit wert. Bis in die 1930er-Jahre hinein wurden die Geräte stark nachgefragt und gekauft.

Strom bleibt

Und wo liegen heutzutage Einsatzgebiete für die Strommedizin? Zum Beispiel bei übermäßigem Schwitzen. Betroffene Hände oder Füße hält man in spezielle Wasserbäder, durch die ein leichter Strom fließt. Experte Eckart sieht weitere Möglichkeiten. "In heutiger Zeit ist etwa die Aufnahme von Arzneimitteln über die Haut dank der Elektrotherapie möglich. Außerdem lassen sich geschädigte Nerven mit geringen Stromimpulsen stimulieren, und so kann dem Muskelschwund vorgebeugt werden." Nicht zuletzt gehöre auch der Einsatz von Defibrillatoren zu den medizinischen Therapien, die sich den Strom zunutze macht und sogar Leben rettet.

Peter Erik Felzer

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