Dr. Frank Schäfer
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01.07.2023
Wie für so einige Spurenelemente und Vitamine gilt für Vitamin C, dass Menschen die durch einen Mangel entstehende Krankheit – hier Skorbut – bereits lange vor Entdeckung der Ursache aus leidvoller Erfahrung kannten. Es fallen bei Skorbut Zähne aus, Wunden heilen schlecht, Betroffene sind abgeschlagen, es droht der Tod durch Herzschwäche.
Besonders Seefahrer traf Skorbut, da sie oft viele Monate bei unzureichender Versorgung mit frischem Obst und Gemüse unterwegs waren. Man konnte diese Lebensmittel damals schlecht konservieren und schätzte ihre Bedeutung falsch ein. So verlor etwa der portugiesische Seefahrer Vasco da Gama bei seiner ersten Reise nach Indien und zurück einen Großteil seiner Besatzung, von 150 Seeleuten kehrten nur 55 zurück – viele waren an Skorbut gestorben. Aber nicht nur auf See, sondern auch an Land forderte sie bei Hungersnöten viele Opfer.
Auch wenn es Hinweise gab, dass die Ernährung eine Rolle bei der Erkrankung spielte, blieb eine systematische Forschung dazu lange aus. Im Jahr 1753 veröffentlichte der schottische Mediziner und Marinearzt James Lind eine Schrift über Skorbut, in der er seine Untersuchungen zur Wirkung von Zitrusfrüchten bei der Behandlung beschrieb. Sie fand zunächst wenig Beachtung. Aber vereinzelt wurde doch mehr Wert darauf gelegt, Seefahrer weniger einseitig zu ernähren. Der Weltumsegler James Cook etwa verlor unter anderem dank täglicher Sauerkrautrationen keinen seiner Männer wegen Skorbut. Gut 50 Jahre nach der Veröffentlichung von James Lind griff der britische Arzt Gilbert Blane die Ideen von Lind wieder auf und setzte durch, dass der tägliche Konsum einer Ration Zitronensaft bei der britischen Marine zur Pflicht wurde. Eine kleine Änderung mit großer Wirkung: Skorbut verschwand bei den so versorgten britischen Seefahrern weitgehend.
Nobelpreise für Vitamin-C-Forscher
Viele Forscher arbeiteten in der Folge daran, die gegen Skorbut wirksamen Faktoren dingfest zu machen. Die Forschung dazu hatte auch dadurch Auftrieb bekommen, dass man Anfang des 20. Jahrhunderts herausfand, dass Meerschweinchen zu den wenigen Tieren gehören, die ebenso wie Menschen Skorbut bekommen können. Das ermöglichte Tierversuche zu der Krankheit und ihren Ursachen. Der vermutete Nahrungsfaktor wurde ab Beginn der 1920er-Jahre als Vitamin C bezeichnet. Es folgte schließlich die Erkenntnis, dass es sich dabei um Ascorbinsäure handelt. Und es gelang, diese in ausreichender Menge zu isolieren und ihren Aufbau zu erforschen. Die Forschungsleistungen besonders auch zu Vitamin C brachten 1937 dem ungarischen Chemiker Albert Szent-Györgyi und dem britischen Chemiker Sir Walter Norman Haworth einen Nobelpreis. Mittlerweile wissen Forscher von Vitamin C noch mehr, etwa, dass es für den Aufbau von Bindegewebe gebraucht wird. Zudem wirkt es auf das Immunsystem und als Antioxidanz, es fängt also schädliche Verbindungen ab und schützt so den Körper. Und es verbessert die Aufnahme von Eisen aus pflanzlichen Lebensmitteln. Menschen können es, anders als viele Tiere, nicht selbst bilden und müssen es mit der Nahrung zuführen. Wichtig auch: Der Vitamin-C-Gehalt von Obst und Gemüse sinkt bei Überlagerung deutlich ab.
Was man aber auch weiß: Es braucht nicht viel Vitamin C. Laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung (DGE) genügen 10 Milligramm (mg) täglich, um Skorbut zu verhindern. Diese Menge steckt bereits in 6 Gramm roher und frischer roter Paprika. Die DGE empfiehlt jedoch eine höhere Zufuhr an Vitamin C für eine gute Versorgung: täglich zumindest 110 mg für Männer und 95 mg für Frauen. So wichtig eine gute Versorgung mit dem Vitamin ist, eine übermäßige Zufuhr etwa zur Vorbeugung von Erkältungen bringt meist keinen großen Nutzen.
Ernährung: nicht nur Masse, sondern Klasse
Vitamin C steht beispielhaft für den langen Weg zu der Erkenntnis, dass es bei der Ernährung nicht nur um Masse geht, sondern auch um Klasse. Und dass es dafür systematische Forschung braucht. Auf der basieren Ernährungsempfehlungen heutzutage, so wie die 10 Regeln der DGE für eine vollwertige Ernährung, die alle wichtigen Nährstoffe bietet. Hat damit auch die Entdeckungsgeschichte von Vitamin C ein Happy End? In wohlhabenden Ländern meist schon, ein folgenreicher Mangel ist hier selten – im Gegensatz zu ärmeren Regionen mit Mangelversorgung. Doch eine kleine Studie aus Australien lässt aufhorchen: Bei Diabetikern fanden Ärzte 2016 als Ursache schlecht heilender Wunden einen deutlichen Mangel an Vitamin C und Anzeichen von Skorbut. Der Grund: Die Betroffenen verzehrten kaum frisches Obst oder Gemüse. Durch die Zufuhr von Vitamin C besserten sich die Symptome rasch. Eine einseitige Ernährung aus Unkenntnis der Folgen kann also auch in wohlhabenden Ländern die alte Seefahrerkrankheit wiederaufleben lassen – erstaunlich bei dem großen Angebot an frischen Lebensmitteln.