18.10.2011
Das Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofes beschränkt die Verwendung von menschlichen embryonalen Stammzellen für die Forschung. Die Entscheidung gilt für Patente auf die Zellen selbst sowie für die Verfahren, mit denen sie gewonnen werden. Gewinnung und Verwendung dieser Zellen ist äußerst umstritten, weil sie aus frühen Embryonen stammen, die zur Isolierung der Zellen zerstört werden.
Was sind eigentlich Stammzellen?
Stammzellen sind die Mütter aller Zellen, der Urkeim sozusagen. Sie gelten als Alleskönner im Menschen. Mit ihrer Hilfe sollen sich Gehirne nach dem Schlaganfall regenerieren, zerstörte Knorpel nachwachsen, und abgestorbenes Herzgewebe soll sich reparieren lassen.
Stammzellen haben dank ihrer Fähigkeit, sich in jeden beliebigen Zelltyp zu verwandeln, das Zeug zum umfassenden Restaurator. Sowohl die Stammzellen aus ungeborenen Babys, also Embryonen, wie auch erwachsene Stammzellen gelten seit ein paar Jahren als potenzielles Universalheilmittel, um alle möglichen Körpergewebe wieder instand zu setzen.
Klein, aber oho
Die meisten menschlichen Zellen sind Spezialisten, also das Gegenteil von Stammzellen. So bauen Leberzellen den Alkohol ab, Blutkörperchen transportieren Sauerstoff und Muskelzellen verrichten Arbeit. Diese Zellen können sich untereinander nicht vertreten, ihre Aufgaben sind festgelegt.
Stammzellen können, was andere Zellen längst verlernt haben: Sie sind eine Art Urzelle, die zunächst keine bestimmten Funktionen besitzen. Sie können sich teilen und vermehren. Sie sind die Mütter der Spezialisten und einzig dafür da, den Nachschub dieser Zellen zu sichern. Doch Stammzelle ist nicht gleich Stammzelle: Je nach Herkunftsort unterscheidet man embryonale (aus dem Embryo), fetale (aus dem Fötus) und adulte (von Säuglingen, Kindern, Erwachsenen) Stammzellen.
Embryonale Alleskönner
Embryonale Stammzellen sind wahre Alleskönner (medizinisch: totipotent). Sie teilen sich, im Gegensatz zu erwachsenen Stammzellen, fast endlos. Zudem bilden sie vermutlich alle rund 210 Zelltypen des menschlichen Körpers, ob Muskel-, Nerven- oder Blutzelle, denn sie stehen noch ganz am Anfang ihrer Karriere. Sie haben sich noch nicht entschieden, ob sie Herz oder Lunge, Gehirn oder Leber sein wollen.
Adulte Stammzellen
Zum Zeitpunkt der Geburt befinden sich im Blut des Kindes - also auch im Nabelschnurblut - besonders viele Stammzellen. Schon kurz danach ziehen sie sich jedoch aus dem Blut ins Knochenmark zurück und verändern mit dem Älterwerden ihre Eigenschaften. Je älter ein Mensch wird, umso geringer ist sein Vorrat an verwandlungsfähigen Stammzellen, die nach der Geburt als adulte Stammzellen bezeichnet werden. Erwachsene haben etwa 20 verschiedene Stammzelltypen. Sie werden gebraucht, wenn Reparaturen nötig sind, etwa in der Leber. Sie decken auch den Bedarf kurzlebiger Zellen. So bilden Stammzellen im Knochenmark immer frische Blutbestandteile. Andere erneuern Muskeln und Bindegewebe. Im Vergleich zu embryonalen Zellen wachsen adulte Stammzellen bisher nur begrenzt. Mittlerweile gelingt es aber, sie durch entsprechende Cocktails aus Nähr- und Signalstoffen im Labor dazu anzuregen, sich zu vermehren und zu einem spezialisierten Zelltyp zu entwickeln. Bei den verschiedensten Blutkrebserkrankungen werden Stammzellen heutzutage transplantiert.
Das Urteil beschränkt jetzt die Verwendung der Zellen für Forscher und vor allem das Geldverdienen aufgrund eines angemeldeten Patentes. Allerdings halten die Richter Patente für möglich, wenn die Stammzellen für eine Therapie oder Diagnose zum Nutzen des Embryos eingesetzt werden - zum Beispiel bei Missbildungen.
Hintergrund des jetzt gefallenen Gerichturteils ist ein Patentstreit, bei dem es um ein bereits angemeldetes Patent auf nervliche Vorläuferzellen aus Embryonen handelt. Das Bundespatentamt hatte das Patent im Laufe des Streits für nichtig erklärt und auf den Schutz der Menschenwürde und des menschlichen Lebens verwiesen. In nächster Instanz war der Bundesgerichtshof mit der Sache befasst, der die Frage nach Luxemburg verwies.
JPL