Helle, freundliche Farben an den Wänden, viele Lichtquellen mit klarer Anordnung, eine funktionale und dennoch behagliche Einrichtung: In diesem Ambiente leben seit Oktober vergangenen Jahres neun Menschen mit Demenz. Die Wohngemeinschaft der Hans und Ilse-Breuer-Stiftung hat Modellcharakter.
Zwei Jahre währte die Kernsanierung der dreigeschossigen Gründerzeitvilla in Offenbach am Main. Jetzt zeigt sich das StattHaus einladend – und genau das soll es: "Demenz ist immer noch ein stark angstbesetztes Tabu", sagt Leiterin Jutta Burgholte-Niemitz. "Zu uns kann man mal zum Kaffeetrinken kommen oder zu einem Informationsseminar." Schritt für Schritt könne man sich dem Thema auf diese Weise nähern. "Außenstehende müssen sich hier nicht outen und haben die Chance, sich ohne Entscheidungsdruck mit dem Thema auseinanderzusetzen." Unter anderem bietet auch eine Cafeteria dafür Raum. Wohnen, Beraten und Begegnen unter einem Dach. So bringt Projektkoordinatorin Tanja Sand das Vorhaben auf den Punkt.
Mitten im Geschehen
Damit stellt das StattHaus mehr dar als bislang bekannte Wohnkonzepte für Demenzkranke. Die Initiatoren fordern und fördern ganz bewusst das Motto: Mit Demenz lässt sich leben – auch unter uns, erklärt Burgholte-Niemitz. Die Wahl des Gebäudes fiel deshalb auch auf eines, das nicht einsam, versteckt, irgendwo außerhalb liegt, sondern mitten drin im urbanen Geschehen, mit einem Kindergarten und der Hochschule für Gestaltung vis-a-vis.
Helfen erwünscht
Friedliche Geschäftigkeit herrscht im ersten Obergeschoss. Wer kann und möchte, hilft, das Mittagessen in der geräumigen, aber überschaubaren Wohnküche vorzubereiten. Viele fleißige Hände unterstützen Hauswirtschafterin Eva Wegener beim Gemüseschneiden und Tischdecken. "Allein finden die Bewohner den Weg zur alltäglichen Arbeit nicht mehr, aber indem wir sie animieren, kommen sie wieder in Bewegung und helfen, wo sie nur können", sagt Wegener.
So viel machen wie noch möglich
"Den Alltag verrichten, das kennt jedes der gestandenen WG-Mitglieder aus dem eigenen langen Leben", erklärt Burgholte-Niemitz. Anders als in Heimen, die nach herkömmlichem Konzept arbeiten, findet der Alltag im StattHaus extra nicht hinter verschlossenen Türen statt, sondern bezieht die Bewohner ganz bewusst mit ein. Denn das tun, was noch geht, gefordert, aber nicht überfordert werden, bekommt dem Gehirn Demenzkranker deutlich besser als Schonung allerorten. "Der persönliche Einsatz beim Putzen, Waschen oder Kochen hilft unseren Mietern, Verlorengegangenes zumindest in Teilen zu reaktivieren, und gibt ihnen zudem Struktur", so Sand. Mit diesem Vorgehen integrieren die StattHaus-Initiatoren aktuelles Wissen über Demenz in ihr Konzept. Das gilt auch für das Kochen: "Man weiß heute, dass die Ernährung eine wichtige Rolle für die Funktion des Gehirns spielt", sagt Burgholte-Niemitz. "Das berücksichtigen wir mit unseren Speiseplänen." Völlerei, viel Fettes oder Einseitiges kommt nicht auf den Tisch. Gesunde Zutaten und Gerichte bestimmen die Mahlzeiten, zu denen sich die WG-Bewohner immer zusammenfinden.
In Aktion bleiben
Bewegung ist ein weiterer wichtiger Punkt. Treppensteigen anstelle des Fahrstuhls, im nahe gelegenen Park spazieren gehen, kleine Einkäufe erledigen: All das bekommt Psyche und Geist erwiesenermaßen gut. Nicht zu vergessen die soziale Einbindung, die das StattHaus automatisch bietet. Sie kann vor dem Fortschreiten einer Demenz schützen, wissen Experten. Und nutzt auch den bereits daran Erkrankten.
Freundlicher Umgang
Die WG-Bewohner unterstützen sich gegenseitig dann, wenn einer schwächer scheint als der andere. Da wird beim Eindecken gefragt, wer noch Besteck braucht, und darauf geachtet, dass der Tischnachbar auch genug zu trinken und essen bekommt. Burgholte-Niemitz bestätigt das: "Wir beobachten bislang so gut wie keine Konflikte unter den Mietern, dafür eine große Hilfsbereitschaft."
Die Bewohner des Hauses gehören verschiedenen Pflegestufen an, von eins bis drei. Und so gibt es einige, denen man als Außenstehender kaum anmerkt, dass sie an einer Demenz leiden, und solche mit auf den ersten Blick erkennbaren Symptomen.
Sensibel anleiten
Eine derjenigen, die auf den Besucher einen gesunden Eindruck macht, ist die 90 Jahre alte Henny F. Sie geht fast noch aufrecht, wirkt körperlich fit, und mit ihr kann man, wie Tochter Sylvia F. sagt, vernünftige Gespräche führen. Allein das Erinnern währt nicht lange. Nach einer halben Stunde weiß die Mutter nicht mehr, was besprochen wurde. In den letzten Monaten brachte das Vergessen die alte Dame in den eigenen vier Wänden in gefährliche Situationen. "Da war klar: Wir brauchen eine Lösung", sagt die Tochter. Sie erinnerte sich an das StattHaus – und hatte Glück: Ein Zimmer war noch frei. Nun wohnt ihre Mutter hier, keine fünf Minuten von ihr entfernt.
Wie geht es der alten Dame? "Teils, teils", sagt Sylvia F. "Sie hat sich am Anfang schon sehr schwer getan und öfter gedacht, sie sei in Urlaub." Die Erklärung der Tochter, die Mutter lebe nun hier, brauchte jedes Mal wieder Zeit des Bewusstwerdens. Doch der Mutter leuchte dann auch stets aufs Neue ein, dass für ihr Krankheitsbild mit dem StattHaus eine sehr gute Lösung gefunden wurde. Sylvia F. beschreibt: "Die Mitarbeiter des Pflegeteams holen unsere Angehörigen mit Demenz gut dort ab, wo sie sind, und sie gehen sehr sensibel auf deren Situation ein."
Wie alle Angehörigen der WG-Bewohner engagiert sich auch die Tochter von Henny F. stark für das StattHaus. Sie schätzt das Angebot unter anderem deshalb so sehr, weil die Demenzkranken ernst genommen und nicht bevormundet werden. "Unsere Angehörigen sind zwar dement, aber sie sind Menschen, die nun wirklich erwachsen sind, auch in ihrer Demenz, und sehr wohl auch wissen, was sie möchten und was sie nicht möchten."
Bleibt zu hoffen, dass das StattHaus vielfach kopiert wird, denn hier bleibt Menschen mit Demenz das Wichtigste erhalten: ein würdevoller Umgang mit der eigenen Person und ihrem Schicksal.