Inkretin-Analoga können diese Wirkung ebenfalls erzielen. Wie wendet man die Wirkstoffe an?
Reger-Tan: Es handelt sich um Eiweißhormone, die als Tablette bei der Verdauung von der Magensäure leicht zerstört werden können. Daher gibt es Inkretin-Analoga in der Regel als Spritze oder Pen. Den Wirkstoff Liraglutid spritzt man heutzutage einmal am Tag, Dulaglutid, Semaglutid und den neuen Wirkstoff Tirzepatid nur noch einmal in der Woche. Von Semaglutid gibt es zwar mittlerweile auch eine Tablette. In Studien zeigt diese allerdings eine etwas schwächere Wirksamkeit. Sie ist in Deutschland auch nicht auf dem Markt.
Und welche Vorteile haben Inkretin-Hormone bei der Diabetes-Therapie?
Reger-Tan: Früher galten schon Medikamente als gut, die den Langzeitblutzuckerwert HbA1c um 0,5 bis 1 senken konnten. Das Inkretin-Analogon Semaglutid schafft eine Senkung von 1,5 Prozentpunkten. Außerdem verlieren Menschen mit Diabetes im Durchschnitt sieben Prozent Gewicht, Menschen mit starkem Übergewicht sogar bis zu 15 Prozent. Das ist sehr viel. Denn fünf bis zehn Prozent Gewichtsverlust sind bereits mit einem Plus an Gesundheit verbunden. Der neue Wirkstoff Tirzepatid, der seit vergangenem November auf dem Markt ist, konnte in Studien zeigen, dass er den HbA1c um zwei Prozentpunkte und das Gewicht um bis zu 20 Prozent senken kann. Tirzepatid besteht aus zwei unterschiedlichen Inkretin-Hormonen. In Studien hat man außerdem gesehen, dass Inkretin-Hormone das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduzieren. Besonders Herzinfarkte und Schlaganfälle treten unter der Behandlung seltener auf. Sie zeigen in der Regel auch einen positiven Effekt auf Leber- und Nierengesundheit.
Das klingt nach wahren Wundermitteln. Gibt es auch Einschränkungen oder Nebenwirkungen?
Reger-Tan: Das Vorliegen eines speziellen Schilddrüsenkarzinoms kann gegen die Behandlung sprechen. Außerdem sind bei einer schweren Nierenschädigung die Erfahrungen begrenzt. Die Nebenwirkungen sind recht überschaubar. Am häufigsten zeigen sich Magen-Darm-Unverträglichkeiten, vor allem Übelkeit. Deshalb geben wir zu Beginn nicht die volle Dosis, sondern steigern diese ganz langsam. Dadurch können sich die meisten Menschen an das Medikament gewöhnen.
Für wen lohnt es sich, auf Inkretin-Analoga in der Diabetes-Therapie umzusteigen?
Reger-Tan: Wenn man beim Diabetes ein Therapiekonzept gefunden hat, muss das nicht heißen, dass man das immer so lässt. Es lohnt sich immer, wieder mit Arzt oder Ärztin darüber zu sprechen, was es Neues gibt, im Leben oder auch in der Diabetestherapie. Welches Mittel im Endeffekt am besten ist, kommt auf verschiedene Aspekte an: Wir gucken nicht nur auf die Glukosekontrolle, sondern betrachten den ganzen Menschen und überlegen, ob beispielsweise Übergewicht oder die Nierengesundheit eine Rolle spielt, ob Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder eine Herzinsuffizienz vorliegen. Wenn einer dieser Punkte mit ja beantwortet ist, wären Inkretin-Hormone eine Option.
Man hört immer wieder von Lieferengpässen. Spielen diese bei der Verschreibung auch eine Rolle?
Reger-Tan: Wir sind noch in der Phase, dass die Nachfrage deutlich größer ist als das Angebot. Von unseren Patienten haben wir auch öfter die Rückmeldung bekommen, dass das Medikament nicht da ist, beziehungsweise in einer anderen Dosierung oder Packungsgröße. Die Beschaffung gestaltet sich mitunter für alle Beteiligten aufwändig, läuft am Ende aber immer gut und wir konnten mit den Patienten und mithilfe der Apotheken immer eine Lösung finden. Allerdings wurden wir tatsächlich von den Herstellern gebeten, nicht zu viele Menschen auf einmal neu einzustellen, solange Lieferengpässe bestehen, um die Versorgung der Menschen, die bereits in Therapie sind, zu gewährleisten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Katrin Faßnacht-Lee.