12.08.2015
In Nordrhein-Westfalen gehen die Sommerferien schon heute zu Ende. Dann packen auch Fünfjährige zum ersten Mal ihre Ranzen – diese Kinder werden erst nach dem ersten Schultag sechs Jahre alt, allerdings vor dem 30. September, dem Stichtag für die Einschulung. Wenige Wochen oder Tage zwischen Geburtstag und Stichtag können jedoch gravierende Konsequenzen haben: Kinder, die im Monat vor dem Stichtag geboren wurden, erhalten häufiger eine ADHS-Diagnose und eine medikamentöse Therapie als ältere Kinder. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler der Ludwig-Maximilian-Universität München (LMU) und des Versorgungsatlas, einer Einrichtung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung. Die Forscher haben dafür erstmals bundesweite Daten von rund sieben Millionen Kindern und Jugendlichen zwischen vier und 14 Jahren aus den Jahren 2008 bis 2011 analysiert. Das Resultat: Von den jüngeren Kindern erhielten im Schnitt im Laufe der nächsten Jahre 5,3 Prozent eine ADHS-Diagnose, bei den älteren Kindern lag der Prozentsatz bei 4,3 Prozent. Generell stellten Ärzte die Diagnose bei Jungen häufiger als bei Mädchen.
„Die Ergebnisse zeigen einen robusten Zusammenhang zwischen der ADHS-Diagnose und den durch den Geburtsmonat bestimmten Altersunterschied der Kinder“, erklärt die Erstautorin der Studie, Professor Amelie Wuppermann. Warum das so ist, könne allerdings nicht beantwortet werden. Die Forscher vermuten, dass das Verhalten jüngerer – und damit oft unreiferer – Kinder in einer Klasse mit dem der älteren verglichen werde. Da die jüngeren oft impulsiver, aktiver und unaufmerksamer seien, steige die Wahrscheinlichkeit einer ADHS-Diagnose, weil ihr Verhalten im Vergleich möglicherweise als ADHS interpretiert werde. „Unsere Studie zeigt, dass die traditionelle Einschulungspolitik, bei der die Schulpflicht an gegebene Stichtage geknüpft wird, die Diagnosehäufigkeit psychischer Erkrankungen bei Kindern beeinflussen kann. Kinder, die quasi gleich alt sind, haben aufgrund der Einschulungspolitik ein unterschiedlich hohes Risiko, eine ADHS-Diagnose zu bekommen“, so die Forscher. Da eine solche Diagnose prägend sei und die medikamentöse Therapie von ADHS starke Nebenwirkungen haben kann, sollten die neuen Erkenntnisse sowohl von der Politik als auch von den Ärzten bei der Diagnosestellung beachtet werden, empfehlen die Forscher.
LMU/NK