Gut gebettet: Ein Besuch beim Orthopädie-Schuhmacher
Tamara Berikoven
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16.05.2022
Beim Orthopädie-Schuhtechniker gibt es nichts von der Stange: Schuhzurichtungen, Einlagen und orthopädische Maßschuhe sind das Ergebnis von Handwerkskunst, moderner Technik und viel Know-how.
Nebel taucht Heidelberg in graues Einerlei. Da recken sich hinter einem Schaufenster den Passanten fröhlich bunt bestrumpfte Kunststoffbeine entgegen. Keck weisen die Fußspitzen Richtung Tür. "Orthopädie-Schuhtechnik" und "Meisterbetrieb" ist darauf zu lesen. Kaum eingetreten, erscheint Richard Fiedler aus dem Nebenraum. Er arbeitet als Orthopädie-Schuhtechniker in dritter Generation. Als sein Großvater die Ausbildung abschloss, war der Beruf noch neu. Zwei Weltkriege hatten damals eine Spezialisierung notwendig gemacht. Heute gehören Einlagen, Änderungen am Konfektionsschuh und Spezialschuhe in den Aufgabenbereich des Berufsstandes – alles nach Maß. Auch wer konfektionierte Therapieschuhe, Kompressionsstrümpfe oder eine Orthese braucht, findet hier die richtigen Produkte.
Aus der Werkstatt riecht es nach Leim und Leder, das in zahlreichen Farbvarianten von der Decke hängt. Richard Fiedlers Vater steht gerade an einer großen Schleifmaschine und bearbeitet konzentriert einen Schuh, während in einer Spezial-Fräse für Einlagen der Bohrer brummt. In einem weiteren Zimmer wird Maß genommen. Ein Podest mit einem Stuhl beherrscht den Raum. Davor ist im Boden eine Art Kopierer eingelassen. Fiedler Junior weist auf diesen "Thron" und möchte Füße sehen: "Aha, Senk-Spreiz." Er drückt mit dem Finger in den Ballen, biegt dann den Fuß in verschiedene Richtungen und fragt: "Tut das weh?" Danach platziert er die Füße auf der Glasfläche und lichtet sie ab. Der Meister zeigt auf den Computerbildschirm, auf dem nun der digitale Fußabdruck erscheint und mahnt: "Ihr ganzer Bewegungsapparat steht auf den Füßen, solche Fehlstellungen können Hüft- und Kniebeschwerden verursachen."
Erste Anlaufstelle: Arzt
Orthopädische Hilfsmittel gibt es auf Rezept, das ein Orthopäde oder Hausarzt ausstellt. "Viereinhalb Millionen Bettungs- und Korrektureinlagen wurden im Jahr 2021 verschrieben", weiß Reinhard Deinfelder, Facharzt für technische Orthopädie und stellvertretender Landesvorsitzender beim Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. in Württemberg. Fußfehlstellungen wie Platt-, Knick-, Senk- oder Hohlfüße lassen sich so behandeln. Bei X- und O-Beinen wiesen die Einlagen dann Erhöhungen von Außen- oder Innenrand auf. Beinlängenunterschiede bis 1,5 Zentimeter bewältige der Körper hingegen selbst. Es habe sich in dem Bereich viel geändert, so Deinfelder: "Heute weiß man: Fußgymnastik und Einlagen gehören zusammen. Bei Kindern setzt man jedoch eher Krankengymnastik ein, statt gleich Einlagen zu verschreiben."
Anfertigung nach Maß
Auch in Wolfgang Ihrigs Meisterbetrieb für Orthopädie-Schuhtechnik im Süden von Heidelberg versorge man "alles ab dem Oberschenkel abwärts mit Sonderanfertigungen", so der Meister, der gerade von einem Hausbesuch zurückkommt. Gleich wird er einen Einblick in die Entstehung eines orthopädischen Maßschuhes gewähren. "Die sind immer dann indiziert, wenn Änderungen am Konfektionsschuh oder Einlagen die Behinderung oder Fehlstellung nicht mehr ausgleichen können."
Er öffnet die Tür zur Werkstatt und nimmt den Abguss eines Fußes aus einem Regal. Dann zeigt er auf ein Paar halbfertiger Schuhe. Es sind echte Hingucker, erdbeer- rotes Wildleder mit lindgrünen Schnallen. Ihrig lacht angesichts des begehrlichen Blicks: "Maßschuhe könnten wir natürlich auch ohne Rezept anfertigen. Vom Arzt verschrieben werden sie aber nur, wenn es nötig ist, etwa bei Gehbehinderung, Rheuma, hochgradigen Arthrosen, bei arterieller Verschlusskrankheit oder Polyneuropathie, manchmal auch bei Diabetes."