NAS
|
24.02.2024
Die Zahl der Fälle von Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) ist in Deutschland 2023 gesunken – doch die Entwicklung ist trügerisch: „Diese Zahlen täuschen“, betont Dr. Rainer Oehme, Laborleiter des Landesgesundheitsamts im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg auf einer Pressekonferenz an der Universität Hohenheim in Stuttgart. „Infektionszahlen unterliegen immer jährlichen Schwankungen. Doch der längerfristige Trend zeigt deutlich nach oben“, so Oehme.
Zecken auch im Winter aktiv
Grund dafür sei unter anderem, dass Zecken mittlerweile ganzjährig aktiv sind. 2023 begann die Zeckenaktivität extrem früh, was sich in den Erkrankungszahlen widerspiegelt, erklärt Prof. Dr. Ute Mackenstedt, Parasitologin an der Universität Hohenheim: „Auch in diesem Jahr gibt es bereits erste Fälle in Baden-Württemberg und Bayern. Bei einem Vorlauf von vier Wochen bis zur Diagnose muss die Infektion mitten im Winter stattgefunden haben. Zecken haben also keine Winterpause mehr, das FSME-Geschehen verlagert sich nach vorne.“
Hinzu kommt, dass sich die Frequenz besonders zeckenreicher Jahre offenbar erhöht hat: „Früher hatten wir in Baden-Württemberg alle drei Jahre besonders hohe FSME-Zahlen, seit etwa 2017 beobachten wir einen zweijährigen Rhythmus“, sagte Oehme. „Demnach wäre im Südwesten in diesem Jahr mit hohen FSME-Zahlen zu rechnen.“
Nach wie vor finden sich 85 Prozent der FSME-Fälle in den beiden südlichen Bundesländern. Auch in Österreich und der Schweiz bleibt die Lage angespannt. „Die deutschen Mittelgebirge stellen eine Grenzlinie dar. Nördlich davon sind die Fallzahlen niedriger als im Süden“, berichtet Oehme. Doch auch in den Regionen, die bisher nur wenige Fälle verzeichneten, sei ein deutlicher Anstieg festzustellen, so der Experte: „Im Norden und Osten Deutschlands steigen die Fallzahlen massiv, beispielsweise in Sachsen, Brandenburg, Niedersachsen oder Thüringen. Selbst in Schweden ist ein Rekordwert verzeichnet worden.“
Dunkelziffer bei FSME ist hoch
Neue Studien belegen außerdem eine hohe Dunkelziffer bei FSME: Das Virus werde siebenmal häufiger übertragen als bisher angenommen, zeigen neue Forschungsergebnisse von Prof. Dr. Gerhard Dobler, Leiter des Nationalen Konsiliarlabors FSME am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München. Er hat im Ortenaukreis Blutproben von Blutspender:innen untersucht. Dank eines neuen Testverfahrens konnten Antikörper aus einer Impfung und aus einer natürlichen Infektion unterschieden werden.
Die Impfung – auch für Kinder – sei daher wichtiger denn je. „Eine Untersuchung des RKI hat gezeigt, dass bei schweren Infektionen Langzeitfolgen möglich sind. Rund zehn Prozent von über 500 befragten Patient:innen hatten auch nach über einem Jahr noch Konzentrationsschwierigkeiten, Probleme mit der Balance oder beim Gehen“, sagt Prof. Dr. Dobler. Empfohlen werden drei FSME-Impfungen zur Grundimmunisierung und eine Auffrischimpfung alle fünf Jahre bzw. ab dem 60. Lebensjahr alle drei Jahre.