Pflanzliche Medizin

Pflanzenheilkunde: Tiere kennen sich aus

Apotheker Rüdiger Freund  |  15.04.2023

Pflanzliche Arzneimittel stehen bei uns Menschen hoch im Kurs. Damit sind wir nicht allein. Auch manche Tiere nutzen Pflanzen, wenn sie sich krank fühlen.

Schimpanse, hält den Kopf in seinen Händen.
Wissenschaftler haben beobachtet: Leiden Schimpansen unter Darmwürmern, trinken sie den Saft aus dem Mark des "bitter leaf". Der Strauch enthält Wirkstoffe, die Darmparasiten bekämpfen.
© cheekylorns/iStockphoto

Vor 50.000 Jahren verwendeten bereits Neandertaler Kamille, Tausendgüldenkraut oder einen gewissen Pilz, in dem Jahrtausende später das Antibiotikum Penicillin entdeckt wurde. Woher wussten die Frühmenschen, welche Pflanzen heilen können? Teils von Tieren aus ihrer Umgebung, vermuten Fachleute wie der US-amerikanische Biologe Professor Dr. Michael A. Huffman.

Huffman, der am Zentrum für Wildtierforschung der Universität Kyoto in Japan arbeitet, ist einer der weltweit führenden Forscher auf dem Gebiet der Zoopharmakognosie, also der tierischen Selbstmedikation. In einer Übersichtsarbeit präsentiert er zahlreiche Beispiele für Eigenbehandlung bei Tieren in aller Welt. Da die Forschung an Wildtieren meist auf Beobachtungen und anderen Indizien beruht, bleiben viele Zusammenhänge unbewiesen, was sie jedoch nicht weniger plausibel macht.

Aktiv gegen Parasiten

Die ersten Hinweise in Sachen Selbstbehandlung von Tieren kamen von Schimpansen in Westafrika. Die Affen leiden oft unter Darmwürmern und trinken, wenn sie sich krank fühlen, absichtlich den scheußlich schmeckenden Saft aus dem Mark des sogenannten "bitter leaf". Der Strauch enthält Wirkstoffe, die Darmparasiten bekämpfen. Durch die Einnahme fühlen sich die Affen offenbar bereits innerhalb von 20 Stunden deutlich besser, wie Huffman beobachtet hat. In Afrika südlich der Sahara ist die Pflanze als Heilmittel auch bei Menschen bekannt – auch gegen andere Krankheiten wie etwa Malaria, schreibt der Biologe.

Eine andere Affenart, die Bonobos, vertreibt Darmparasiten ebenfalls mit Hilfe einer Pflanze, genauer mit den Blättern des Baums Manniophyton fulvum. Dazu falten die Primaten die behaarten und sehr groben Blätter zu kleinen Päckchen zusammen und schlucken diese ungekaut. Eine Weile später scheiden sie die Blattpakete fast unversehrt wieder aus. Eine Forschergruppe um die Verhaltensbiologin Professorin Dr. Barbara Fruth aus Konstanz hat das genauer untersucht. Die Expertin geht davon aus, dass die Blätterpäckchen den Bonobos helfen, Wurmlarven loszuwerden, bevor sie zu ausgewachsenen Darmwürmern heranwachsen.

Einfach schlapp?

Manchmal fühlen sich Tiere auch einfach nur schlapp. Hausziegen in Afrika kennen ein Mittel dagegen: Einer Überlieferung zufolge beobachtete ein Hirte, wie seine Tiere Blätter des Khat-Strauchs fraßen und daraufhin aktiver wurden. Auch er selbst spürte nach dem Kauen der Blätter neue Energie. Mittlerweile ist dieser anregende Effekt der Pflanze wissenschaftlich belegt. In Afrika wird sie vielfach gegen Müdigkeit eingesetzt, in Europa und Nordamerika gilt sie als Betäubungsmittel. Andere Rauschmittel sollen ebenfalls von Tieren "entdeckt" worden sein, bevor der Mensch sie nutzte: zum Beispiel die Coca-Blätter von Lamas in Peru oder die Beeren des Kaffeestrauchs durch Ziegen in Äthiopien, erklärt Huffman.

Noch planvoller gehen Elefanten in Afrika gegen Magenschmerzen vor. Sie bereiten sich eine Art Tee aus Blättern des Affenbrotbaumes zu. Dazu kauen sie diese ein wenig, schlucken sie aber nicht, sondern verfrachten sie in ihren sogenannten Rachenbeutel. Dabei handelt es sich um ein spezielles Organ im Halsbereich, in dem sie einige Liter Wasser speichern können. Dort vermischen sie die Blätter mit Wasser, das sie über ihren Rüssel aufnehmen, und lassen die Mischung eine Weile "ziehen", bevor sie die Blätter wieder wegwerfen und das Wasser schlucken. Wissenschaftler isolierten aus den Blättern mittlerweile verschiedene antibakterielle Wirkstoffe.

Berauschte Großkatzen

Bei indigenen Völkern im Amazonasgebiet wünschen sich die Jäger "Jaguar-Augen", um nachts besser sehen zu können. Dazu nutzen sie die als Rauschdroge bekannte Pflanze Ayahuasca, nachdem sie beobachtet hatten, dass Jaguare an Wurzeln und Rinde dieser Pflanze nagten. Tatsächlich enthält sie Wirkstoffe, die die Pupillen erweitern und so die Nachtsicht verbessern könnten. Die Großkatzen schätzen an dieser Pflanze aber wohl weniger den Rausch oder verbesserte Nachtsicht, sondern ihre Wirkung gegen Darmparasiten, vermutet Huffman.

Dies sind nur wenige Beispiele tierischer Pflanzenheilkunde, und es muss nicht immer Afrika oder Südamerika sein. Hunde etwa fressen Gras. Dieses hilft den Vierbeinern offenbar, sich zu übergeben, wenn ihr Magen Probleme bereitet, lautet eine Theorie dazu.

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