19.06.2017
In Deutschland werden Rückenbeschwerden regional sehr unterschiedlich behandelt. Der Wohnort der Patienten bestimmt, ob sie ins Krankenhaus kommen, konservativ behandelt oder operiert werden. Medizinisch sind diese großen Unterschiede nicht erklärbar. Die Ergebnisse beruhen auf einem neuen Faktencheck Gesundheit der Bertelsmann Stiftung, der die Häufigkeit von drei ausgewählten Rückenoperationen in allen 402 Kreisen und kreisfreien Städten Deutschlands untersucht hat.
Operative Eingriffe aufgrund von Rückenbeschwerden nehmen stark zu. Von 2007 bis 2015 stiegen sie um 71 Prozent von 452.000 auf 772.000. Dabei fällt auf, dass bestimmte Rückenoperationen je nach Wohnort der Patienten unterschiedlich häufig durchgeführt werden. Gravierende regionale Unterschiede zeigen sich unter anderem bei aufwendigen Versteifungsoperationen. Bei Patienten im Landkreis Fulda finden 13-mal so viele Eingriffe statt wie in Frankfurt/Oder. Auffällig hohe Operationszahlen je 100.000 Einwohner weisen viele Kreise in Thüringen, Hessen und im Saarland auf. Hingegen kommen Versteifungsoperationen in den meisten sächsischen Kreisen und in Bremen deutlich seltener vor. Zudem zeigen die Ergebnisse in den "OP-Hochburgen", dass sich die Situation in den letzten Jahren zugespitzt hat. So ist in Nord- und Osthessen sowie im angrenzenden Westthüringen mittlerweile ein zusammenhängendes Gebiet entstanden, in dem fast alle Stadt- und Landkreise sehr hohe Operationsraten aufweisen.
Der Faktencheck der Bertelsmann Stiftung hat zudem ermittelt, wie oft Patienten wegen der Diagnose Rückenschmerzen im Krankenhaus aufgenommen werden. Seit 2007 haben sich die Aufnahmen von 116.000 auf 200.000 im Jahr 2015 erhöht. Auch hier fallen die großen Unterschiede zwischen den Kreisen auf: Während beispielsweise in Heidelberg nur 58 oder in Kiel 91 von 100.000 Menschen mit der Diagnose Rückenschmerzen ins Krankenhaus kommen, sind es im westfälischen Hamm 815 und in Osterrode am Harz 919. Bei dieser Diagnose sind Klinikaufenthalte jedoch häufig vermeidbar. Die Mehrzahl dieser Patienten erhält im Krankenhaus keine spezifische Schmerztherapie oder operative Eingriffe, sondern überwiegend lediglich diagnostische Leistungen, beispielsweise ein MRT. Solche Maßnahmen könnten zumeist auch ambulant erfolgen.
Warum die Versorgung in den Regionen so unterschiedlich ist, lässt sich mit den zur Verfügung stehen Daten nur schwer erklären. Viele Faktoren spielen zusammen und das je nach Region unterschiedlich stark. „Lokale Versorgungsmuster verstärken sich, wenn klare medizinische Leitlinien fehlen", sagt Eckhard Volbracht, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung. Ohne einheitliche Leitlinien eröffnen sich Ärzten Spielräume, die zu regional unterschiedlichen Gewohnheiten bei der Behandlung führen können. „Die Entscheidung für einen operativen Eingriff darf jedoch nicht aufgrund von individuellen Vorlieben der ortsansässigen Ärzte fallen", mahnt Volbracht. Vielmehr sollten Ärzte verständlich über Nutzen und Risiken von Behandlungen informieren und unabhängig von finanziellen Interessen gemeinsam mit dem Patienten über das weitere Vorgehen entscheiden, fordert der Experte.
Bertelsmann Stiftung/NK