Apothekerin Christina Brunner
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15.11.2020
Vitamin D wird oft als Sonnenvitamin bezeichnet. Was steckt hinter dieser Aussage?
Steinhilber: Vitamin D ist der übergeordnete Begriff für eine Gruppe fettlöslicher Vitamine, die Calciferole. Zu den wichtigsten Vertretern dieser Gruppe zählen Vitamin D2 und Vitamin D3. Letzteres kann der Körper selbst herstellen. Für einen wichtigen Schritt in der Biosynthese ist Sonnenlicht notwendig. Calciferole steuern den Calciumstoffwechsel und somit auch den Einbau und die Freisetzung von Calcium im Knochen. Vitamin D ist somit der Schlüssel im Knochenstoffwechsel.
Kann der Körper im Winter Vitamin D herstellen?
Steinhilber: Nein, das gelingt nur im Sommer. Es sind aber keine exzessiven Sonnenbäder notwendig. Eine halbe Stunde täglich im Freien genügt. Jetzt im Winter kann der Körper in der Regel auf Reserven in Blut und Leber zurückgreifen.
Gibt es auch Lebensmittel, die Vitamin D enthalten?
Steinhilber: Nur 10 bis 20 Prozent des Vitamin-D-Bedarfs deckt der Mensch über die Ernährung ab. Spitzenreiter im Gehalt sind fette Seefische wie Hering oder Lachs gefolgt von Champignons, Steinpilzen, Milchprodukten und Eiern.
Welche Personen haben ein erhöhtes Risiko für einen Vitamin-D-Mangel?
Steinhilber: Säuglinge dürfen nicht in die Sonne, weil ihrer Haut der Eigenschutz fehlt. Ein erhöhtes Risiko haben aber auch Erwachsene, die sich selten im Freien aufhalten, zum Beispiel weil sie krank oder pflegebedürftig sind. Auch chronische Magen-Darm-, Leber- oder Nierenerkrankungen können zu einem Vitamin-D-Mangel führen. Betroffene sollten ihren Vitamin-D-Status bestimmen lassen. Auch bei Menschen mit Diabetes lohnt sich eine Überprüfung.
Wie lässt sich ein Mangel feststellen?
Steinhilber: Der Vitamin-D-Status wird vom Arzt im Blutserum bestimmt. Bei gesunden Menschen findet man Werte zwischen 30 und 50 Nanogramm pro Milliliter. Gemessen wird die Speicherform des Vitamin D. Sie ist der Vorläufer des aktiven Vitamin D, des Calcitriols.
Wie wirkt sich ein Vitamin-D-Mangel aus?
Steinhilber: Die Knochen werden weich. Die Krankheit heißt Rachitis oder Osteomalazie. Bei älteren Menschen kann bei Calcium- und Vitamin-D-Mangel eine Osteoporose auftreten, die Knochen werden dann instabil und brüchig.
Diabetiker erkranken häufiger an Osteoporose. Gibt es einen Zusammenhang?
Steinhilber: Zucker- und Knochenstoffwechsel sind eng miteinander verknüpft. Welche Prozesse dabei genau ablaufen, ist noch nicht im Detail verstanden. Das Risiko für Knochenbrüche ist bei Diabetikern zusätzlich erhöht, denn Unterzuckerungen und Spätfolgen des Diabetes, wie ein diabetischer Fuß oder Sehstörungen, machen den Gang unsicher und erhöhen das Sturzrisiko.
Vitamin D soll die Abwehrkräfte positiv beeinflussen. Stimmt das?
Steinhilber: Ja, Vitamin D stärkt das angeborene Immunsystem und hilft, Bakterien und Viren abzuwehren. Patienten mit einem Vitamin-D-Mangel sind infektanfälliger. Sie profitieren von einer Vitamin-D-Zufuhr. Das gilt auch für Diabetiker, die bei einer schlechten Stoffwechseleinstellung häufiger an Infekten leiden. Außerdem hemmt Calcitriol die Bildung bestimmter Antikörper. Sie spielen eine Rolle bei Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes.
Lässt sich daraus ein Therapieansatz ableiten?
Steinhilber: Theoretisch ja. Wenn das eigene Immunsystem die Insulin-produzierenden Zellen schon angreift und deren Zerstörung schon fortgeschritten ist, hilft auch eine Vitamin-D-Gabe nicht mehr. Weiß man von dem Vitamin-D-Mangel und beugt vor, lässt sich aber eventuell der Diabetes verhindern.
Könnte eine gute Vitamin-D-Versorgung auch vor Typ-2-Diabetes schützen?
Steinhilber: Ein Vitamin-D-Mangel wird häufig mit Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder sogar Krebs in Verbindung gebracht, was allerdings keinen Beweis für einen möglichen ursächlichen Zusammenhang darstellt. Experimentelle Arbeiten konnten durchaus Effekte nachweisen. Allerdings wurden zum Teil sehr hohe Calcitriol-Konzentrationen eingesetzt, die im Körper normalerweise nie erreicht werden. Die klinischen Studien mit Vitamin D bei diesen Erkrankungen waren dagegen eher ernüchternd.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Apothekerin Christina Brunner.