Ob Cayenne-Pfeffer, Jalapenos, Chili-Schoten oder Rosen-Paprika: Im Prinzip gehören alle diese "Scharfmacher" derselben Pflanzenart an wie die bekannten milden Gemüsepaprika. Sie nennen Fachleute Capsicum annuum. Die Früchte ihrer unterschiedlichen Vertreter unterscheiden sich jedoch erheblich in ihrer Schärfe.
Der brennende Inhaltsstoff heißt Capsaicin. Kommt man damit in Berührung, reizt der Wirkstoff die Haut. Die Stelle beginnt zu brennen und wird rot und heiß, weil der Körper versucht, durch stärkere Durchblutung die Verteidigung gegen den Fremdstoff aufzunehmen. Bei einem ordentlich gewürzten Chili con carne, dem mexikanischen Bohnen-Fleisch-Eintopf, passiert dasselbe auf der Mundschleimhaut. So kommt der feurige Geschmack zustande.
Betäubende Schärfe
Schon lange nutzt auch die Heilkunde diesen hautreizenden Effekt: Bei verspannter, schmerzender Muskulatur werden Salben oder Pflaster mit Capsaicin-ähnlichen Wirkstoffen auf die betroffenen Körperstellen aufgebracht. Die örtlich gesteigerte Durchblutung sorgt dafür, dass das Gewebe angenehm warm wird und sich die Verspannungen lockern. Gleichzeitig lassen auch die Schmerzen nach, denn die Scharfstoffe zünden noch eine zweite Stufe ihrer Wirkung: Sie betäuben schmerzleitende Nervenenden in der Haut.
Die Desensibilisierung von Nerven durch Capsaicin wird mittlerweile auch in der Therapie der Drang-Inkontinenz genutzt. Bei dieser Form der Blasenschwäche überfällt den Betroffenen ein plötzlicher sehr starker Harndrang, der oft auf eine übersensible Blase zurückzuführen ist. Dazu wird die Blase mittels Katheter mit einer Capsaicin-Lösung gespült. Das macht die Nerven, die den Druck in der Blase messen, für einige Wochen unempfindlicher. Der starke Harndrang nimmt ab.
Darüber hinaus haben Chirurgen die Chili-Scharfstoffe in operativen Verfahren gegen krankhaftes Übergewicht getestet. Dabei zerstörten die Ärzte mit den Scharfstoffen Fasern des Vagusnervs, der Signale aus dem Magen-Darm-Trakt zum Gehirn leitet. Die Methode erwies sich als ähnlich effektiv zum Abbau überschüssigen Körperfetts wie das komplette Durchtrennen des Nervs. Es traten jedoch weniger Nebenwirkungen auf.
Cholesterin-Killer
Weniger tiefgreifend, aber dennoch wirksam, kommt Capsaicin bei Erkältungsschnupfen zum Einsatz. US-amerikanische Forscher haben ein Nasenspray entwickelt, das die üblichen Symptome wie Naselaufen, Kopfschmerzen und Druck in den Nasennebenhöhlen zuverlässig lindert. Während ihre ersten Sprays so stark reizten, dass sie nur nach vorangegangener örtlicher Betäubung in die Nase gesprüht werden konnten, gelang es ihnen kürzlich, eine schmerzarme Formulierung herzustellen.
Heißes für Hamster
Auch für das Herz-Kreislauf-System sollen die Scharfstoffe gute Dienste leisten. Das sagen zumindest chinesische Forscher. In Tierversuchen hatten sie Hamstern eine fettreiche Ernährung verabreicht, wobei sie der Hälfte der Tiere Capsaicin und ähnliche Stoffe unter das Futter mischten. Am Ende stellten sie fest, dass die scharf ernährten Nager weniger des "schlechten" LDL-Cholesterins im Blut hatten, ohne dass sich der Wert des "guten" HDL-Cholesterins veränderte. Zudem wiesen sie weniger Ablagerungen in den Blutgefäßen auf, die zu gefährlichen Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall führen können.
Man darf gespannt sein, für welche Anwendungsgebiete die Capsaicin-Zubereitungen in Zukunft zugelassen werden. Sicher werden die scharfen Schoten noch weitere medizinische Gebiete für sich erobern.
Apotheker Rüdiger Freund