Die Blutgefäße - Alles Wissenswerte über Venen und Arterien

Das Tauchboot wartet startbereit in der muskulösen linken Herzkammer. Die geplante Reiseroute: von der linken Herzkammer zum linken Bein, von dort über die Venen zur rechten Herzkammer und dann in die Lunge, von wo aus es wieder zurück in die linke Herzkammer geht.

Paar auf dem Sofa
© mauritius images

Mit einem Ruck geht es los! Ein kräftiger Schlag des Herzens presst das Tauchboot durch eine sich öffnende dreiflügelige Herzklappe (Aortenklappe) in die Hauptschlagader (Aorta) – zusammen mit sauerstoffgesättigtem Blut. Gleich darauf schließt sich die Aortenklappe hinter dem Boot, das durch den Druckpuls, den der Herzschlag erzeugt hat, stark beschleunigt wird. "Durch den Verschluss der Herzklappe", erklärt der Reiseleiter an Bord, "wird ein Zurückfließen des Blutes in die linke Herzkammer in der Entspannungsphase des Herzens vor dem nächsten Schlag verhindert."

Die Reise geht nun in der großen Hauptschlagader weiter, die in einer scharfen Kurve, dem Aortenbogen, in Richtung Bauchraum abbiegt. Im Scheinwerferlicht des Tauchbootes werden erste Abzweigungen sichtbar. Der Reiseleiter erläutert: "Die ersten beiden Abzweigungen sind die Koronararterien, die den Herzmuskel versorgen, die dritte Abzweigung teilt sich bald und führt in den rechten Oberam und zur rechten Halsschlagader, die vierte geht in die linke Halsschlagader und die fünfte Abzweigung in den linken Arm. Die Halsschlagadern versorgen das Gehirn mit Blut".

Schlagadern verstetigen den Blutstrom

Der Reisekomfort im ersten Streckenabschnitt nahe dem kraftvoll schlagenden Herzen ist alles andere als gut. Turbulente Strömungen in der Aorta rütteln das Boot durch – man bleibt besser angeschnallt. Erst mit zunehmender Entfernung vom Herzen verläuft die Fahrt in der Hauptschlagader etwas ruhiger. Dies, so wird den Fahrgästen erklärt, läge unter anderem an den elastischen Gefäßwänden großer, herznaher Schlagadern, die den Druckpuls vom Herzen aufnehmen, sich dehnen und dann langsam wieder zusammenziehen. So gleichen sie die Unterschiede des Blutstroms und -drucks zwischen Schlag- und Entspannungsphase des Herzens etwas aus. Aber je älter und steifer die Gefäßwände werden, umso schlechter funktioniert dies.

Die Reise in den Schlagadern (Arterien) bleibt aber weiterhin etwas unruhig, da mit jedem Herzschlag ein neuer Druckpuls auftritt. Männer haben ohne körperliche Belastung einen Puls von etwa 60 bis 70 Schlägen pro Minute, bei Frauen sind es 70 bis 75, im hohen Alter etwa 80 bis 85. "Der Puls", so der Reiseleiter, "ist ein wichtiges Lebenszeichen, das man unter anderem an der Halsschlagader, an der Speichen- und Ellenschlagader im Bereich des Handgelenks oder an der hinteren Schienbeinschlagader im Knöchelbereich gut ertasten kann. Setzt er komplett aus, besteht Gefahr für Leib und Leben."

Die Vielfalt der Blutbestandteile

Das Tauchboot bewegt sich mitten im Strom fester Blutbestandteile. Welch eine Vielfalt bieten sie dem Betrachter: zahllose wie Suppenteller geformte rote Blutkörperchen, zuständig für den Sauerstofftransport, dazwischen einige weißliche Zellen mit zahllosen Ausläufern, die Teil der Immunabwehr sind – der Polizeitruppe des Körpers, zu der auch einige Y-förmige Eiweißstücke gehören, so genannte Antikörper. Immer wieder schwimmen kleine, kugelförmige Gebilde vorbei, Transporter für Fett und Cholesterin. Im ausliegenden Reiseprospekt des Tauchbootes stehen ihre Namen: LDL-Cholesterin, HDL-Cholesterin und andere mehr. "Vom LDL-Cholesterin", so kritisiert der Reiseleiter beim Blick aus einem Bordfenster, "ist zu viel da, dadurch bilden sich bestimmt bald schädliche arteriosklerotische Ablagerungen in den Gefäßen." Noch vieles andere gibt es im Blutstrom zu entdecken, doch alles genau anzusehen, wäre zu viel für einen Reisetag.

Mittlerweile hat das Tauchboot den im Bauchraum gelegenen Abschnitt der Hauptschlagader erreicht, von dem Arterien zu Magen und Darm abzweigen. Außerdem geht die Fahrt an zwei Abzweigungen vorbei, die zu den Nieren führen. Durch die fein verästelten Nierengefäße läuft ein Viertel des pro Minute vom Herzen umgewälzten Blutvolumens. Daraus filtern die Nieren – die Kläranlagen des Körpers – Abfallstoffe heraus. Die feinen Filter in den Nieren sind sehr empfindlich gegenüber dauerhaft überhöhten Blutdruck- und Blutzuckerwerten.

Der Puls wird schwächer

Das Boot setzt die Fahrt fort, bis sich die Hauptschlagader in die rechte und linke Darmbeinschlagader verzweigt. Durch die linke Darmbeinschlagader sowie die linke Oberschenkelarterie und eine ihrer Abzweigungen geht es tiefer. Die Arterien verzweigen sich in der Beinmuskulatur stetig weiter und werden enger, so dass das Boot langsam fahren muss, um zwischen den Blutkörperchen manövrieren zu können. Die Pulswellen sind hier schwächer geworden, aber immer noch gut spürbar.

Die nahe gelegene Arterienwand lässt sich gut durchs Fenster betrachten: Großflächige Zellen, angeordnet wie Mauersteine, kleiden die Wand des Blutgefäßes von innen aus, sie werden Endothelzellen genannt. Dahinter sollen sich, so erfährt man im Reiseprospekt, Schichten aus fasrigem Bindegewebe und glatten Muskelzellen verbergen, die das Gefäß verengen oder weiten und so den Blutstrom sowie den Blutdruck beeinflussen.

Kapillaren sind der "Umschlagplatz" des Stoffwechsels

Schließlich werden die Gefäße so eng, dass die roten Blutkörperchen nur noch einzeln hindurchpassen – die Kapillaren sind erreicht. Das Blut strömt hier sehr langsam, der Blutdruck ist gering. Die dünnen Kapillarwände bestehen nur noch aus Bindegewebe und Endothelzellen. Es ist viel los hier: Rote Blutkörperchen laden Sauerstoff ab und nehmen Kohlendioxid auf – Bestimmungsort dafür ist die Lunge. Außerdem gehen zahlreiche kleinere Moleküle und Flüssigkeit durch die Gefäßwände und Spalten ins Gewebe und von dort wiederum ins Blut. Die feinen, auch als Haargefäße bezeichneten Kapillaren bilden einen bedeutenden "Umschlagplatz" des Stoffwechsels.

Nach langer Irrfahrt durch die Kapillaren gelangt das Tauchboot wieder in größere Gefäße. Der Blutdruck ist hier viel niedriger als in den Arterien und Kapillaren, der Puls fehlt. Außerdem ist das Lumen der Gefäße nicht gleichmäßig rund wie in den Arterien, hie und da wirken die Wände nach innen eingedrückt. Das Boot ist im Venensystem angekommen! "Dessen Wände sind", so der Reiseleiter, "dünner und weniger muskulös als die der Arterien, dafür aber sehr dehnbar. Die dehnbaren Venen bieten viel Raum, so dass sich hier bis zu zwei Drittel des Blutvolumens sammeln können."

Venenklappen lenken den Blutstrom

Doch wie strömt das Blut hier weiter? Eine Antwort liefert ein sich vor dem
Boot öffnendes Schleusentor. Diese Schleusentore, die sogenannten Venenklappen, sorgen dafür, dass der abgeschwächte Blutstrom nur in eine Richtung fließt, und zwar zurück zum Herzen – Ausgangspunkt und Ziel der Reise. Diese Klappen gibt es besonders zahlreich in nahe der Körperoberfläche liegenden Beinvenen und in Verbindungen zu tiefer liegenden Venen. Schwung erhält der venöse Blutstrom durch den Druck umgebender Muskeln auf die durch sie hindurch laufenden Venen – jedenfalls wenn der Mensch körperlich aktiv ist. Druck liefern auch Pulswellen direkt benachbarter Arterien. Durch das Bordfenster sieht man während der Fahrt, dass immer mehr Venen zusammenlaufen und die große, durch den Bauch- und Brustraum verlaufende untere Hohlvene bilden. Langsam kommt das Boot wieder dem Herzen näher und gelangt in den rechten Herzvorhof. In diesen mündet neben der unteren auch die obere Hohlvene, die Blut von den Armen und dem Kopf herantransportiert.

Über eine große Herzklappe geht es weiter in die rechte Herzkammer, die das Tauchboot kurz darauf durch eine weitere Herzklappe in die Lunge pumpt. Die Fahrt durch den Lungenkreislauf verläuft von der rechten Herzkammer über die Lunge zum linken Herzvorhof. In der Lunge verzweigen sich die Gefäße wieder zu unzähligen Kapillaren, die kleine kugelförmige Gebilde umspinnen, die dünnwandigen Lungenbläschen. Aus diesen tanken rote Blutkörperchen Sauerstoff und geben Kohlendioxid ab. Das sauerstoffreiche Blut sammelt sich wieder in größeren Gefäßen, die sich zu zwei großen Blutgefäßen vereinen (eines für jeden Lungenflügel). Diese münden in den linken Herzvorhof. Durch die letzte auf dieser Reise noch nicht passierte Herzklappe – sie liegt neben derjenigen, durch die die Fahrt begann – geht es zurück in die linke Herzkammer.

Dr. Frank Schäfer

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