Wie kann KI Ärzte bei der Darmspiegelung unterstützen?
Dr. Gilbert Rahe: Im Rahmen der Darmkrebsvorsorge werden Darmspiegelungen beziehungsweise Koloskopien durchgeführt. Dazu wird ein Endoskop, also ein bewegbarer Schlauch mit einer kleinen Kamera, in den zuvor gereinigten Darm eingeführt. Wir Gastroenterologen schauen uns dann den Dickdarm und gegebenenfalls auch Teile des Dünndarms an und suchen unter anderem nach Polypen. Das sind Gewebsknospen, die eine Krebsvorstufe darstellen können. Ein Qualitätsmerkmal einer guten Vorsorgekoloskopie stellt die sogenannte Polypendetektionsrate dar – also wie viele Polypen bei der Untersuchung entdeckt werden. Diese ist jedoch von Arzt zu Arzt unterschiedlich, erfahrene Untersucher zeichnen sich durch eine hohe Polypendetektionsrate aus. Die Künstliche Intelligenz (KI) schaut bei der Koloskopie mit und kann helfen, kleinste Polypen, die schnell übersehen werden, zu erkennen. Das kann man sich wie bei der Gesichtserkennung am Smartphone vorstellen: Die KI umrandet auffällige Stellen, gibt ein Tonsignal und weist daraufhin, dass es sich um einen Polypen handeln könnte. Außerdem schätzt die KI ein, ob es sich um einen gefährlichen oder ungefährlichen Polypen handelt. Der Arzt fällt die finale Entscheidung und kann die Polypen dann direkt entfernen. Das Darmkrebsrisiko sinkt durch eine Vorsorgekoloskopie deutlich.
Wie deutlich verbessert die KI die Trefferquote bei der Suche nach Polypen im Darm?
Dr. Gilbert Rahe: Einer aktuellen Metaanalyse zufolge, also einer Studie, welche in diesem Fall 28 andere Studien zusammenfasst, ist die Polypendetektionsrate um circa 20 Prozent höher mit KI als ohne KI. Zugleich ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass auch erfahrene Gastroenterologen, die ausgeruht sind, bei einem gut gereinigten Darm ohne KI-Unterstützung sehr gute Ergebnisse erzielen. Aber mittels KI werden auch bei Experten die Detektionsraten höher. Außerdem ermüdet die KI nicht, hat keine schwankende Tagesform und lässt sich nicht stressen. Das kommt meiner Meinung nach insbesondere unerfahrenen Untersuchern zugute, denen es gegenüber Profis mit teils jahrzehntelanger Erfahrung logischerweise noch an Erfahrung beim Erkennen von Polypen fehlt. Ob die KI im Endeffekt die Rate an Darmkrebstoten verringern kann, ist noch nicht wissenschaftlich geklärt und trotz dieser Ergebnisse nicht klar.
Viele Menschen scheuen sich vor einer Darmspiegelung zur Früherkennung von Darmkrebs. Warum ist diese Untersuchung so wichtig?
Dr. Gilbert Rahe: Darmkrebs die dritthäufigste Krebsart in Deutschland. Zum Glück ist diese Krebsart auch eine der am besten vorbeugbaren Krebserkrankungen, da durch Vorsorgeprogramme Vorstufen abgetragen werden können oder zumindest der Krebs im Frühstadion erkannt werden kann. Deshalb ist die Vorsorge auch so wichtig. Tatsächlich zeigt sich auch, dass häufig bei Patienten mit Darmkrebs Vorsorgealter diese nicht in Anspruch genommen wurde. Durch die Vorsorge wird der Krebs eben schon in der Vorstufe erkannt oder in einem sehr frühen Stadium, in dem er sehr gut behandelt werden kann.
Ist ein Stuhltest eine gute Alternative zur Darmspiegelung?
Dr. Gilbert Rahe: Der Stuhltest ist nicht unbedingt eine Alternative zur Darmspiegelung, sondern neben der Darmspiegelung ein weiterer Baustein der Darmkrebsvorsorge. Auch deshalb, weil er im Vergleich zur Darmspiegelung nicht so genau ist und auch falsch-negativ ausfallen kann. Beim Stuhltest wird der Stuhl nach okkultem, also nicht mit bloßem Auge erkennbarem, Blut untersucht, das ein Hinweis auf Polypen oder kolorektalen Krebs sein kann. Ist der Test positiv, folgt im nächsten Schritt eine Darmspiegelung. Der Test kann die Koloskopie also nicht ersetzen. Aktuell wird Frauen ab 50 Jahren erstmal nur der Stuhltest empfohlen. Männern wird ab 50 Jahren hingegen schon die Darmspiegelung nahegelegt, weil sie im Durchschnitt früher an Darmkrebs erkranken. Bei Frauen sollte im Rahmen der Darmkrebsvorsorge ab 55 Jahren eine Darmspiegelung durchgeführt werden.