Hanke Huber
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15.09.2022
"Am Anfang ist es extrem irritierend, weil man so etwas ja nicht kennt", erzählt Mark F.* Seit fünf Jahren lebt der heute 39-Jährige mit einem Stoma. Die chronisch entzündliche Darmkrankheit Colitis ulcerosa war bei ihm so stark ausgeprägt, dass er gemeinsam mit Ärzten entschied, den Dickdarm entfernen zu lassen. "Dass der Stuhlgang nicht mehr den normalen Weg gehen soll, sondern über ein Loch im Bauch herauskommt, ist für jeden Menschen zunächst eine schreckliche Vorstellung, sagt Professor Dr. Franz Hartmann, Vorstand der Gastro-Liga e.V. "Allerdings kann ein künstlicher Darmausgang zu einem erheblichen Gewinn an Lebensqualität führen. Schließlich bekommen Patienten ein Stoma, weil sie vorher
krank waren. Man erlangt damit die Kontrolle über seinen Darm zurück und wird nicht vom Darm bestimmt." Diese Erfahrung hat auch Mark gemacht: "Mit Stoma geht es mir körperlich viel besser."
Nach Angaben der Deutschen Krebsgesellschaft leben heute rund 150.000 Menschen in Deutschland mit einem künstlichen Darmausgang. Eine chronische Darmerkrankung ist bei 20 Prozent die Ursache. Weitaus mehr – etwa drei Viertel der Patienten, die ein Stoma bekommen, – haben Krebs. Der Rest verteilt sich auf Fehlbildungen, Unfälle und andere Erkrankungen.
Manchmal vorübergehend
Art, Ort und Ausmaß der Erkrankung bestimmen über die Art des Stomas. Dauerhaft wird es angelegt, wenn etwa der Dickdarm teilweise oder komplett entfernt werden muss. Gleiches gilt für den Enddarm und prinzipiell immer dann, wenn der Schließmuskel mit betroffen ist. Denn ohne ihn lässt sich der Stuhl nicht halten. "Sitzt der Krebs aber im Querkolon, also in dem Ast des Dickdarms, der oberhalb des Bauchnabels horizontal verläuft, dann ist es selbstverständlich möglich, dass man den betroffenen Teil herausnimmt, dafür ein vorübergehendes Stoma oberhalb der Naht anlegt und den Darm später, nach Abheilung der Naht, wieder zurückverlegt", so der Gastroenterologe. Das Stoma schützt den Bereich, der operiert wurde. Auch bei einer sogenannten Pouch-Operation, bei der der natürliche Darmausgang trotz Entfernung des Dick- und Enddarms erhalten bleibt, ist das Ziel die Rückverlegung des Übergangsstomas. "Es handelt sich hier um eine sehr komplexe Operation, und man möchte, dass die Nähte in Ruhe heilen können", erklärt Hartmann.
Ist die Operation geplant, sollte man vorab mit dem Operateur genau überlegen, wo das Stoma platziert werden soll. "Es ist wichtig, dass man den Ort sorgfältig auswählt. Es sollte keinesfalls am Hosen- oder Rockbund sitzen, und auch nicht an einer Stelle, an die man schlecht rankommt oder die man schlecht sehen kann. Der Patient muss sein Stoma sehen und ohne Schwierigkeiten versorgen können!"
Qualifizierte Hilfe
Vieles ist möglich
Stomaträger können ein fast normales Leben führen. Nur eines sollte man vermeiden: "Man sollte nicht meinen, man müsste bei der Olympiade im Gewichtheben antreten", so der Mediziner. Alles, was den Druck im Bauchraum erhöhe, sei für das Stoma nicht so gut. "Es gibt eine goldene Regel. Danach sollte man nicht mehr als zehn Kilogramm heben." Davon abgesehen fallen die Einschränkungen weit geringer aus, als viele zunächst vermuten. Beim Essen gilt es zu testen, was man verträgt. Blähende oder besonders faserreiche Kost kann möglicherweise Probleme bereiten. Aber eine spezielle Stoma-Diät gibt es nicht. "Generell empfehlen Ärzte eine ausgewogene Mischkost und anfangs lieber mehrere kleine als einzelne große Mahlzeiten", so Hartmann. Restaurant, Kino, Theater – all dies klappt auch mit Stoma. Gleiches gilt für Sport. "Ich kann alles damit machen – tanzen, Rad fahren, joggen, und sogar schwimmen", berichtet Mark. Fürs Schwimmen gebe es zum Beispiel spezielle Schwimmanzüge, die den Beutel kaschieren, oder Bauchbinden. "Selbst Sauna habe ich schon einmal ausprobiert – auch das ist möglich."
Beim Schwimmen oder Saunieren kommt ein Aspekt zum Tragen, der vielen Patienten mit Stoma zu schaff en macht: die Sorge vor der Reaktion der anderen. Das und der Blick auf den eigenen Körper können auch für intime Beziehungen ein Problem darstellen. Nach Marks Erfahrung hilft oft reden: "Ich muss immer mal wieder aus meiner Komfortzone heraus. Als ich meine Freundin kennenlernte, hat es mich schon Überwindung gekostet, das Thema anzusprechen. Aber egal ob im Privaten oder bei der Arbeit: Ich habe immer gute Erfahrungen damit gemacht, den Schritt nach vorne zu tun."