Ayurveda und traditionelle chinesische Medizin kennen viele. Doch auch Japan punktet in Sachen Gesundheit mit jahrhundertealtem Wissen. Die Rede ist von Kampo.
Bei der Frage, was japanische von anderer asiatischer Medizin unterscheidet, muss Dr. Heidrun Reißenweber-Hewel lächeln. "Die Wurzeln liegen in der traditionellen chinesischen Medizin, die ab dem 6. Jahrhundert mit dem Buddhismus in Japan eingeführt wurde", weiß die Fachärztin für Innere Medizin aus Gräfelfing bei München. Das verrate schon der Name. Kampo, wie die japanische Kräuterheilkunde heißt, bedeutet übersetzt "Behandlungsmethode aus dem China des Altertums", erklärt die Ärztin, die eine Praxis für japanische Medizin betreibt.
Rund 200 Heilpflanzen-Mischungen
Schon bald wurde die Kampo-Medizin an die japanischen Verhältnisse angepasst und auf die wirksamsten Elemente reduziert. Seit dem 16. Jahrhundert entwickelte sie verstärkt eine eigenständige Linie. "Neben einem großen Wissen über Arzneipflanzen und deren Wirksamkeit befasst sie sich mit dem gesamten Körper und der individuellen Konstitution des Patienten", erklärt Reißenweber-Hewel. Für die Auswahl der Rezeptur unterscheide die Kampo-Medizin, ob eine Erkrankung auf einen geschwächten, leicht frierenden und vom Magen her empfindlichen Patienten trifft oder einen kraftstrotzenden, hitzigen Konstitutionstyp, so die Expertin. Im Vordergrund steht zunächst die Erfassung subjektiver und objektiver Krankheitszeichen. "Dabei spielt vor allem die Untersuchung des Bauches eine zentrale Rolle. Dieser wird gründlich angeschaut und intensiv abgetastet."
Steht die Diagnose fest, verordnet die Ärztin oder der Arzt die passende Arznei. Reißenweber-Hewel: "Es gibt rund 200 fest definierte Kombinationen von Heilkräutern, die gegen unterschiedliche Beschwerden helfen." In Japan stehen dafür fertige Standardpräparate zur Verfügung, die die Extrakte enthalten und ihre Wirksamkeit in Studien gezeigt haben. Allerdings sind diese bis auf eine Ausnahme bisher nicht in Deutschland zugelassen. Mediziner, die hierzulande Kampo anwenden, lassen daher die Kräuterextrakt-Mischungen in darauf spezialisierten Apotheken zusammenstellen. Die Patienten wenden sie dann in Form von Tees an.
Hilfe bei Magen-Darm-Beschwerden
Als Fertigzubereitung gibt es in deutschen Apotheken die Kampo-Rezeptur "Rikkunshito". Sie kommt bei Magen-Darm-Beschwerden wie Appetitlosigkeit, Unwohlsein, Völlegefühl und Blähungen zum Einsatz und besteht aus einer Kombination von acht Heilpflanzen, darunter Ingwer, Ginseng, Süßholzwurzel oder die Chinesische Dattel, auch Jujube genannt.Eine kürzlich in Deutschland durchgeführte Studie mit 66 Patienten, die unter Magen-Darm-Problemen litten, bestätigte die Wirksamkeit.
Widersprechen sich traditionelle Medizin und moderne Schulmedizin? Reißenweber-Hewel kennt die Chancen, aber auch die Grenzen von Kampo Bewährt hat sie sich bei vielen funktionellen und chronischen Erkrankungen zum Beispiel Magen-Darm-Problemen, Frauenleiden, wie etwa Wechseljahresbeschwerden, oder auch Migräne. Lange Zeit war Japan abgeschottet. Mit der Öffnung zum Westen vor gut 150 Jahren gelangte das moderne medizinische Wissen nach Japan, vor allem aus Deutschland. Seit 1967 übernehmen japanische Krankenversicherungen allerdings auch die Kosten für die meisten Kampo-Arzneien. Und 2001 wurde in Japan die traditionelle Medizin im staatlichen Medizinstudiengang integriert. "Im Gegensatz zur traditionellen chinesischen Medizin wird Kampo in Japan nicht als Alternativmedizin aufgefasst, sondern als integraler Bestandteil der Schulmedizin", so die Expertin.