Psyche

Messie-Syndrom: Wann ist Unordnung nicht mehr normal?

07.10.2020

Gelesene Zeitungen, Schuhe, Elektrogeräte, alte Verpackungen: In Wohnungen sogenannter Messies türmen sich die verschiedensten Dinge. Manche Zimmer sind so vollgestellt, dass man sich kaum noch bewegen kann. Betroffene sind jedoch nicht einfach zu faul zum Aufräumen, beim Messie-Syndrom handelt es sich um eine psychische Erkrankung. Doch ab wann ist Unordnung in den eigenen vier Wänden nicht mehr normal? Der Übergang ist fließend.

Das Messie-Syndrom ist gar nicht so selten.
Einigen Menschen fällt es extrem schwer, Dinge auszusortieren und wegzuwerfen. Sie leiden unter dem sogenannten Messie-Syndrom.
© AG-ChapelHill/iStockphoto

Klar ist: Nicht jeder, der unordentlich ist, ist ein Messie. Das Wort leitet sich übrigens vom englischen Wort „mess“ ab, was Chaos oder Durcheinander bedeutet. „Messies sind nicht zu faul, um aufzuräumen. Sondern aus tieferliegenden psychischen Gründen fällt es ihnen extrem schwer, sich von Gegenständen zu trennen“, erklärt Birgit Lesch, Diplom-Psychologin bei der Krankenkasse AOK.

Die sie umgebenden Dinge haben einen sehr hohen emotionalen Wert für die Betroffenen: Sie geben Halt, Geborgenheit und das Gefühl, die Kontrolle über das eigene Leben zu behalten. Deshalb ist es auch wenig hilfreich, wenn andere die Wohnung aufräumen oder säubern. „Das kann panische Ängste auslösen“, sagt die Psychologin.

Messie-Syndrom kann jeden treffen

Das Messie-Syndrom ist gar nicht so selten: Schätzungsweise jeder 20. Deutsche ist davon betroffen. Nur eine Minderheit lebt aber – entgegen dem gängigen Vorurteil - zwischen Essensresten, Schmutz und Müll. Meistens sieht man Messies nicht an, welches Chaos bei ihnen zu Hause herrscht. Nach außen hin können sie gut funktionieren und im Beruf erfolgreich sein. Paradoxerweise haben sie oft einen Hang zum Perfektionismus, der sie allerdings regelrecht erdrückt, wenn es um die Ordnung in den eigenen vier Wänden geht.

Aber ab wann beginnt die Unordnung krankhaft zu werden? „Der Übergang ist fließend", sagt Lesch. Die Expertin führt ein Beispiel an: Ein Liebhaber von Technik sammelt Motoren und Maschinen, bringt alle möglichen Geräte von seinen Weltreisen mit. "Wenn die Sammelleidenschaft dahin führt, dass sich der Betroffene des Durcheinanders schämt und niemanden mehr zu sich nach Hause einlädt, dann ist die Grenze überschritten."

Erforscht ist das Krankheitsbild, das dahinter steckt, bislang jedoch wenig. Häufig haben die Betroffenen schon in der Kindheit einschneidende Trennungen erlebt. „Mit dem Wegwerfen der Gegenstände kommen tiefe Verlustgefühle wieder hoch“, erklärt Lesch. Viele Betroffene haben darüber hinaus Probleme mit ihrem Selbstwert, können sich nur schwer konzentrieren und haben große Angst vor falschen Entscheidungen.

Psychotherapie kann helfen

Das Problem muss nicht einfach hingenommen werden. Wie auch bei anderen psychischen Erkrankungen kann eine Therapie Betroffenen dabei helfen, das Chaos zu lichten und die tieferliegenden Ursachen des krankhaften Hortens anzugehen. Möglicherweise kann auch ein Soziotherapeut oder eine psychiatrische Pflegekraft zu Hause Unterstützung bieten.

In der Therapie lernen die Betroffenen, besser zu entscheiden, was weg kann und was nicht. Ist erst einmal eine Kiste aussortiert, kann diese positive Erfahrung dazu ermuntern, weiterzumachen. Oft schwächen sich die unangenehmen Gefühle beim Wegwerfen mit zunehmender Übung ab. Es kann auch sinnvoll sein, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen, um die Probleme mit anderen Betroffenen zu besprechen.

NK

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