Natascha Plankermann
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29.05.2024
Der Kollege wird befördert, während man selbst das Gefühl hat, im Hamsterrad auf der Stelle zu treten: eine typische Stresssituation für Männer. „Leistung, Erfolg, Anerkennung und Macht haben auch heute noch einen großen Einfluss auf das Selbstbild. Deshalb reagieren Männer oft gestresst, wenn sie das Gefühl haben, unterlegen zu sein“, erklärt Professor André Reitz, Experte für Neuro-Urologie und Buchautor zum Thema Männergesundheit.
Die körperliche Aktivität in dieser herausfordernden Situation entspricht laut der amerikanischen Psychologin Shelley Taylor meist einer klassischen Kampf- oder Fluchtsituation: Das Nervensystem, die Sinnesorgane und die Muskulatur werden verstärkt durchblutet, erhöhte Aufmerksamkeit und Reaktionsbereitschaft bereiten den Körper auf Kampf oder Flucht vor. Gleichzeitig schüttet dieser wie in einer Kettenreaktion vermehrt Botenstoffe aus. Bei Frauen sieht das etwas anders aus. André Reitz: „Sie fühlen eher durch zwischenmenschliche Konflikte gestresst und handeln nach dem ,tend and befriend’-Muster. “ Das bedeutet, sie suchen sich soziale Unterstützung, handeln kooperativ und versuchen, sich mit den Umständen zu arrangieren. Bei Männer beobachten Mediziner evolutionsbedingt intensivere Reaktionen. Reitz: „Weil dabei vermehrt Cortisol und verschiedene Stresshormone ausgeschüttet werden, steigt zum Beispiel der Blutdruck schneller an.“
Körperliche Symptome bei Stress
Gleichzeitig stellt der Männergesundheitsexperte bei vielen Patienten weitere Beschwerden fest, die mit Stress zusammenhängen. Dazu gehören beispielsweise Kopf- und Rückenschmerzen, Magenschleimhautentzündungen, Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung oder auch psychische Krankheiten wie Sucht und Angststörungen. Erkrankungen der Sinnesorgane, etwa Tinnitus, können ebenso Folgen sein. Reitz: „In meiner urologischen Sprechstunde sehe ich auch häufig Männer, die aufgrund von Stresshormonen ihre Blase nicht richtig entleeren können. Da deren Ausschüttung in der Regel eine gefäßverengende Wirkung hat, kann zudem die Erektion - die ja auf einer Erweiterung der Blutgefäße beruht - direkt negativ beeinflusst werden.“
Unterschied zwischen Männern und Frauen
Männer neigen dazu, negative Gefühle nach außen zu tragen. So zeigen sie bei Stress oft deutliche Emotionen wie Wut, Ärger oder gesteigerte Aggressivität. Aber auch ein völliger Rückzug ist möglich. Buchautor Reitz: „Das kann variieren, je nachdem, wie widerstandsfähig man sich gerade fühlt.“ Frauen hingegen empfinden nach seinen Worten vielfach nach innen gerichtete Angst, Hilflosigkeit und Traurigkeit. Vereinfacht gesagt: Männer riskieren durch Stress einen Herzinfarkt, Frauen eher eine Depression.
Im Gegensatz zu Frauen fällt es Männern oft schwer, Stress zu erkennen. Die immer noch weit verbreitete gesellschaftliche Norm, „seinen Mann zu stehen“, „der Fels in der Brandung zu sein“ und einfach zu „funktionieren“, macht es Männern nicht leicht, richtig zu reagieren. „Viele Männer ignorieren geradezu offensichtliche Frühwarnzeichen für Stress und gehen damit gesundheitliche Risiken ein“, erklärt André Reitz. Allerdings beobachtet er auch einen langsamen Wandel: "Früher waren psychische Probleme bei Männern verpönt, allenfalls körperliche Erkrankungen wurden anerkannt. Heute denken meine Patienten nach, wenn ich sie auf mögliche Stressfolgen anspreche – und suchen einen Ausgleich.“
Gelassen werden – Tipps und Strategien
Wer mehr Gelassenheit in seinen Alltag bringen möchte, für den gilt laut dem Männergesundheitsexperten Reitz: Erst einmal den Stress erkennen und sich damit auseinandersetzen. Das können hilfreiche Fragen sein: Was stresst mich? Wie kann ich meinen Alltag so verändern, dass ich diese Überforderungen bzw. Herausforderungen meide?
Buchtipp: Prof. Dr. med. André Reitz: Kompass Männergesundheit. Gesund, fit und potent in jedem Alter.S. Hirzel Verlag