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30.06.2022
Laut ärztlichen Leitlinien sollen starke Opioide wie Fentanyl nur dann verordnet werden, wenn alle anderen therapeutischen Optionen erfolglos geblieben sind. Erst im April dieses Jahres warnte die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, dass die wiederholte Anwendung von Fentanyl – zum Beispiel als Nasenspray oder Lutschtablette – zu Opioid-Abhängigkeit und eine missbräuchliche Falschanwendung zu einer Überdosierung oder zum Tod führen kann. Insbesondere chronische Schmerzen sollten daher immer zunächst mit Heil- und Hilfsmitteln wie Ergo- oder Physiotherapie und gegebenenfalls zusätzlich mit opioidfreien Schmerzmitteln behandelt werden. „Aber ob diese Optionen ausgeschöpft werden, ist fraglich. Der Griff zu Schmerzmitteln erscheint vielen als einfachster und günstigster Weg“, erklärt Lutz Muth, Apotheker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am socium Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Uni Bremen.
Grund zur Sorge gibt die Auswertung von Daten der Krankenkasse hkk: Die verordneten Tagesdosen stiegen zwischen 2019 und 2020 um 6,6 Prozent, obwohl die Anzahl von Versicherten mit entsprechender Verordnung nahezu unverändert blieb. „Fentanyl wirkt 100-mal stärker als Morphin und birgt ein hohes Suchtpotential“, warnt Muth. „Langfristig kann das alle teuer zu stehen kommen und unkontrolliert zu einer Medikamenten-Abhängigkeit der Patienten führen.“
Ärzte verordnen Opioide häufig bei Rückenschmerzen
Starke Opioide sind vor allem Mittel, mit denen Patienten mit Tumorschmerzen, sonstigen schweren Schmerzzuständen und in Hospizen versorgt werden. „Dennoch sehen wir in den hkk-Daten, dass starke Opioide der WHO-Stufe-III bei 81 Prozent der Frauen und 78 Prozent der Männer verordnet wurden, für die keine Krebserkrankung kodiert wurde“, erklärt Muth. Am häufigsten erhielten diese Arzneimittel Patienten mit Rückenbeschwerden und Arthrose, wobei sie fast ausschließlich (87 Prozent) von Allgemeinmedizinern und hausärztlich tätigen Internisten verschrieben wurden.
Bei solchen Erkrankungen sollte insbesondere eine Langzeitanwendung nur in Einzelfällen erfolgen und mit einer regelmäßigen Überprüfung der Dosis sowie einer eventuell bestehenden Abhängigkeit einhergehen. Zudem ist die Einbeziehung eines ausgewiesenen Schmerztherapeuten unbedingt anzuraten. „Leider suchen viele Schmerzpatienten über Jahre hinweg nach einer effektiven Therapie. In dieser Zeit kann eine Chronifizierung entstehen oder fortschreiten und die Behandlung deutlich erschweren”, so Dr. med. Joachim W. Ulma, Chefarzt der Klinik für Schmerzmedizin und der Schmerzambulanz im Rotes Kreuz Krankenhaus Bremen.