"Unsere Lebensbedingungen haben sich verändert und das macht auch unserem Verdauungssystem zu schaffen." So beschreibt Professor Dr. Martin Storr die heutige Lage. "Viele Menschen stehen andauernd unter Strom. Stress, Zeitdruck,
unregelmäßiges und ungesundes Essen. Darauf reagieren wir", so der Magen-Darm-Fachmann der Ludwig-Maximilians-Universität München. Denn der Kopf und der Bauch seien eng miteinander vernetzt.
Die Rolle der Stresshormone
"Unser Nervensystem im Bauch besteht aus etwa 100 bis 200 Millionen Nervenzellen. Es liegt zwischen den Muskelschichten der Darmwand und kommuniziert mit unserem Gehirn", erklärt Mediziner Storr. So bekomme man beispielsweise schlechte Laune, wenn man Hunger hat. Oder Stress schlägt sich auf das Verdauungssystem nieder.
Wie genau Stress auf den Magen schlägt, weiß seine Kollegin Privatdozentin Dr. Miriam Goebel-Stengel. "Steht ein Mensch unter Stress, wird im Gehirn das Stresshormon CRF ausgeschüttet. Dieses Hormon entfaltet seine Wirkung jedoch nicht nur im Gehirn, sondern auch im Bauchraum", erklärt die Fachärztin für Innere Medizin an der Berliner Charité. Der Darm bewegt sich mehr und er schüttet mehr Verdauungssäfte aus. Ein Phänomen, das viele kennen, wenn sie nervös reagieren und deswegen dringend auf die Toilette müssen. Zudem bleibt die Nahrung kürzer im Darm, die Bakterienzusammensetzung verändert sich und die Darmschleimhaut wird durchlässiger. Goebel-Stengel: "All diese Effekte können zu Schmerzen, Krämpfen und einer erhöhten Schmerzempfindung im Bauchraum führen."
Frauen bevorzugt
Doch nicht jedem macht Stress gleich viel zu schaffen, betont die Ärztin. Laut ihr spielen zum Beispiel die Erbanlagen eine Rolle. Zudem weiß man, dass es Frauen und Menschen über 50 Jahren häufiger trifft. "Auch akuter psychischer Stress, Angsterkrankungen oder Depressionen, aber auch vorausgegangene Magen-Darm-Infekte oder Antibiotikaeinnahme erhöhten das Risiko."
"Nur 20 bis 30 Prozent der Betroffenen nehmen ärztliche Hilfe in Anspruch. Viele führt der Weg in die Apotheke", berichtet ihr Kollege Storr aus seiner langjährigen Erfahrung. Finden die Patienten den Weg in die Arztpraxis, steht eine Basisuntersuchung am Anfang, ergänzt Professor Dr. Ahmed Madisch, Chefarzt am Klinikum Siloah-Oststadt-Heidehaus in Hannover. Er befragt die Betroffenen etwa nach ihren Beschwerden, untersucht den Bauchraum per Ultraschall und bestimmt einige Urin- und Blutwerte.
Kombi-Päparate
"Ist die Diagnose erst einmal gestellt, basiert die Therapie auf mehreren Säulen", weiß Madisch. Sinnvoll sei eine maßvolle körperliche Bewegung, eventuell eine Ernährungsumstellung, bestimmte Entspannungs- oder psychotherapeutische Verfahren sowie die medikamentöse Therapie. "Kombinationstherapien sind erlaubt, da es bisher kein Medikamente gegen alle Beschwerden gibt."
Einen besonderen Stellenwert hätten Arzneimittel, die Extrakte aus Heilpflanzen enthalten. Sie gibt es rezeptfrei in der Apotheke. Deren Wirksamkeit bestätigen auch die aktuellen Behandlungsleitlinien. Madisch zählt Pfefferminze, Kümmel, Fenchel, Melisse, Angelikawurzel und Koriander auf. Sie lindern etwa Krämpfe im Magen-Darm-Bereich. Senföle wirken gegen Bakterien. Kalmus-, Galant- und Ingwerwurzel stimulieren die Bildung von Magensaft und die Darmbewegung. Bitterstoffe wie Enzian oder Wermutkraut fördern die Magenbewegung.
Pfefferminze und Kümmel
"Sehr gut untersucht ist die hochdosierte Kombination aus den ätherischen Ölen der Pfefferminze und des Kümmels", informiert Madisch. "Die gute Wirksamkeit und Verträglichkeit wurde in diversen Studien nachgewiesen." Sie gibt es in Kapselform. Mit klassischem Tee erreicht man laut seines Kollegen Storr nicht die notwendige Konzentration. "Hierzu müsste man täglich elf Liter Pfefferminz-Kümmel-Tee trinken. Das schafft keiner."
Peter Erik Felzer