Die meisten kennen Dieter Nuhr als Kabarettisten aus Funk und Fernsehen. Ein Teil seiner Kunst funktioniert jedoch völlig ohne Humor, erzählt der Künstler, der auch malt, im Interview mit dem Apotheken Magazin.
Herr Nuhr, ist es gut oder schlecht, dass Apotheken in Ihrem aktuellen Bühnenprogramm nicht vorkommen?
Dieter Nuhr: Ich glaube, ehrlich gesagt, für die Apotheken ist das ein gutes Zeichen. Mein Programm stellt Dinge infrage, macht Zweifelhaftes deutlich, zieht Widersprüche ins Lächerliche. Wenn man nicht vorkommt, sollte man sich freuen – ich will aber auch meinen Apotheker nicht verärgern. (lacht)
Haben Sie eine Stammapotheke?
Dieter Nuhr: Ich habe mehrere, denn ich bin oft unterwegs. Bei uns im Dorf gibt es eine Apotheke, die ich aufsuche, wenn ich zu Hause bin. Auch in Berlin, wo ich mich häufig aufhalte, habe ich eine Apotheke, mit der ich sehr gute Erfahrungen gemacht habe. Ich hatte mal einen Wespenstich, mein Gesicht war angeschwollen, ich sah aus wie eine Pampelmuse. Der Apotheker hat mir unbürokratisch geholfen. Großartig.
Sie gehen auf der Bühne häufig auf wissenschaftliche Themen ein wie Corona oder den Klimawandel. Reicht Ihnen zur Information die Zeitungslektüre oder graben Sie noch tiefer?
Dieter Nuhr: Ich verlasse mich selten auf einzelne Informationen aus einer Zeitung, ich prüfe gern selbst nach. Beispielsweise, indem ich mir die dem Artikel zugrunde liegenden Studien anschaue. Man findet ja heute meist alles im Netz. Da wundert man sich manchmal, was aus einer Originalstudie gemacht wurde, wenn Ergebnisse verdreht und Nebensächlichkeiten aufgeblasen wurden, um Stimmung zu machen. Darauf beruht zum Teil mein Humor, dass ich tiefer bohre und dann den Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit offenbare.
Über Inhalte Ihres Programms wird in der Öffentlichkeit oft hitzig diskutiert. Für einen Kabarettisten gehört das wohl zum Beruf, aber hat sich dabei der Ton verändert?
Dieter Nuhr: Es ist in der Tat schwieriger geworden. Früher konnte man etwas in den Raum stellen und schauen, was passiert. Auch Irrtum war erlaubt. Heute gibt es Versuche der Überwältigung, Forderungen, den Andersdenkenden mundtot zu machen. Da wird Hass sichtbar, der früher nicht an die Oberfläche kam. Das liegt an den sozialen Medien. Und: Die Leute sind empfindlicher geworden. Klimawandel, Inflation, Krieg, all das ist im Internet ganztägig präsent. Man kann nicht mehr abschalten. Corona hat die Lage verschärft. Die Debattenkultur hat sich verschlechtert. Abweichende Meinungen werden oft nicht mehr als andere Bewertung eines Themas aufgenommen, sondern als böse oder dumm abgewertet. In den sozialen Medien herrscht ein Ton, den es früher nur bei Zusammenrottungen gab, wenn die Leute mit der Mistgabel vor dem Stadttor standen.
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum ausgerechnet das Thema Corona manche Menschen dazu brachte, komplett abwegige Meinungen zu vertreten?
Dieter Nuhr: Viele Menschen neigen dazu, sich die Welt so weit zu vereinfachen, bis sie sich alles erklären können. Die Welt ist jedoch meist viel komplexer als das, was wir uns zusammenreimen. Und wenn etwas wie Corona kommt, schicksalhaft, dann halten die Menschen das nicht aus. Sie suchen Schuldige, auch wenn es keine gibt. Verschwörungstheorien sind im Grunde verzweifelte Versuche zu erklären, was nicht zu erklären ist. Jeder hat Menschen in seinem Bekanntenkreis, die da durchgedreht sind. Menschen ertragen es nicht, wenn sie die Welt als unerklärlich empfinden. Schuldige zu finden, gibt dem Menschen ein Gefühl von Souveränität zurück. Früher war es der Teufel, heute Bill Gates. Der hat als Sündenbock gegenüber dem Teufel sogar noch den großen Vorteil, dass es ihn wirklich gibt. Gern ist ja auch der Jude wieder schuld. Viele leben immer noch im Mittelalter.
Neben Ihrer Arbeit als Kabarettist fotografieren Sie auch und stellen Ihre Bilder weltweit aus. Ein bewusster Gegenpol?
Dieter Nuhr: Ich habe Kunst studiert und lange Zeit ganz normal gemalt, Ölbilder, Zeichnungen. Auf der Bühne bin ich Autodidakt, als bildender Künstler habe ich eine Ausbildung. Was ich bildnerisch mache, war und ist ein selbstverständlicher Teil meiner Arbeit. Momentan ist es eine Mischung aus Fotografie und Malerei.
Die Bilder strahlen sehr viel Ruhe und Ernst aus. Das bringt man nicht sofort mit der Bühnenpersönlichkeit Dieter Nuhr zusammen.
Dieter Nuhr: Ich habe – wie jeder Mensch – auch eine ernste Seite. Die Bilder sind völlig humorlos. Es ist wichtig, das Leben mit Humor zu betrachten, aber gleichzeitig ist es auch ernst. Die existentiellen Dinge des Lebens – Liebe, Schicksal, Tod – sind ernste Themen. Als Künstler möchte ich das Leben in seiner ganzen Bandbreite betrachten. Teilweise mit Humor, teilweise ohne.