Um die gleiche Süßkraft zu erreichen, müsste man also die doppelte Menge der Zuckeraustauschstoffe verwenden und käme am Ende wieder auf ähnlich viele Kalorien wie bei Zucker?
Kabisch: Richtig. Hinzu kommt, dass Zuckeraustauschstoffe osmotisch aktiv sind. Das heißt: Sie ziehen Wasser und können, wenn man sie in größeren Mengen verzehrt, zu Blähungen und Durchfall führen. Für Süßstoffe gilt das nicht.
Sind Süßstoffe demnach eine gesunde Alternative zu Zucker?
Kabisch: Das kann man so pauschal leider nicht sagen. Randomisiertkontrollierte Studien, in denen die Wirkung von Süßstoffen genauer untersucht wurde, haben bislang nur sehr schwache positive Effekte gezeigt. Die Studienteilnehmer, die Süßstoffe verwendeten, nahmen innerhalb eines Jahres beispielsweise ein bis zwei Kilogramm ab. Wenn man sich aber überlegt, wie viel Zucker sie über das Jahr durch die Süßstoffe eingespart haben, müsste die Gewichtsabnahme eigentlich viel größer sein – schätzungsweise bei zehn bis 15 Kilogramm.
Wie lässt sich das erklären?
Kabisch: Dafür kommen verschiedene Ursachen infrage. Einige Studien legen zum Beispiel nahe, dass Süßstoffe die Bakterienzusammensetzung im Darm – das sogenannte Mikrobiom – verändern. Die Datenlage dazu ist allerdings sehr undurchsichtig.
Es heißt häufig auch, Süßstoffe würden den Appetit anregen. Könnte das der Grund sein?
Kabisch: Auch das ist möglich. Süßes ist für uns Menschen sehr attraktiv, das hat evolutionäre Gründe: Vor 20.000 Jahren, als es noch keine vollen Supermärkte gab, war es für unseren Körper sinnvoll, Energie zu "bunkern". Die einzige Energiequelle, die es nur saisonal gab, war zuckerreiches Obst. Wenn wir etwas Süßes schmecken, ist unser Gehirn also darauf ausgerichtet, so viel wie möglich davon zu essen, um Fettreserven für schlechte Zeiten anzulegen. Dieses genetische Programm haben wir noch immer, obwohl heutzutage überall Süßes in Reichweite ist. Auch Süßstoffe regen dieses Belohnungssystem im Gehirn an, sie erzeugen dabei aber – anders als Zucker – keinen Sättigungsreiz. Daher ist es durchaus möglich, dass Süßstoffe den Appetit anregen.
Sind Süßstoffe für Menschen mit Diabetes überhaupt zu empfehlen?
Kabisch: Wer gut mit Süßstoffen zurechtkommt, kann sie durchaus nutzen. Aber: Sie sind keine Wundermittel, und wer sie verwendet, muss sich darüber bewusst sein, dass das Verlangen nach süßen Lebensmitteln dadurch nicht abnimmt.
Kann man sich dieses Bedürfnis überhaupt abtrainieren?
Kabisch: Ja, das geht tatsächlich. Wenn man Süßes deutlich reduziert oder ganz darauf verzichtet, wird der Heißhunger darauf mit der Zeit weniger. Und wenn man dann doch mal zu einem Keks oder einem Stück Schokolade greift, merkt man oft, dass diese dann furchtbar süß schmecken und man sie vielleicht gar nicht mehr so gerne mag wie früher. Der schlauere Weg ist also, insgesamt Zucker und auch Süßstoffe zu reduzieren, dann nimmt das Bedürfnis danach auch ab.
Und was kann man tun, wenn man doch einmal Heißhunger auf etwas Süßes hat?
Kabisch: Manchmal klappt es, wenn man stattdessen ein Stück Gemüse wie eine Karotte, Tomate oder Gurke isst – also etwas, das den Mund beschäftigt und den Magen füllt, ohne viele Kalorien zu liefern. Eine andere gute Alternative sind Nüsse, die mehrfachungesättigte, also gesunde Fettsäuren enthalten und satt machen. Eine weitere Möglichkeit wäre Naturjoghurt, gerne auch mit Beeren – die sind zwar süß, enthalten aber im Vergleich zu anderen Obstsorten wie Äpfeln oder Trauben sehr viel weniger Zucker und damit auch Kalorien.