Die Jahrtausende alte Heilkunst der Chinesen fasziniert die Menschen im Westen. Denn die Traditionelle Chinesische Medizin, kurz TCM genannt, hilft sogar in manchen Fällen, die schulmedizinisch als aussichtslos galten.
Die Nervenschmerzen im Gesicht hielten bei Melanie Fehrmann* oft wochenlang an: ein heftiges Stechen, das vom Nacken über den Hinterkopf bis in die Wange ausstrahlte. "Ich hatte so schlimme Krisen, dass mich der Arzt deswegen häufig krankschreiben musste", erinnert sie sich. Sie wanderte von Arzt zu Arzt: Allgemeinarzt, Zahnarzt, Kieferchirurg, Neurologe, Psychiater. Bald kannte sie Dutzende Praxen von innen. "Aber nach einer Weile waren alle Mediziner mit ihrem Latein am Ende", berichtet die 56-Jährige. "Austherapiert" hieß es. Den Tipp, es mit TCM zu probieren, gab ihr schließlich ihr HNO-Arzt. Er kannte einen TCM-Therapeuten, der gute Erfolge in der Schmerztherapie hatte.
Das Beispiel von Frau Fehrmann zeige eine typische Schwäche der westlichen Schulmedizin, meint Dr. Christian Schmincke, Ärztlicher Leiter an der Klinik am Steigerwald in Gerolzhofen. "Der Schmerz wird als Krankheit angesehen, die mit Schmerzblockern ausgeschaltet werden soll. Aber dass dahinter eine komplexe Störung steht, die man heilen kann, ist aus dem Bewusstsein verschwunden."
Aus dem Gleichgewicht geraten
Anders die Traditionelle Chinesische Medizin. Der TCM-Therapeut möchte mit seinen Maßnahmen möglichst dicht an die Wurzel der Erkrankung herankommen. Er zeichnet alle Äußerungen des Organismus minutiös auf: wie sich der Patient fühlt, wie sein Schweiß riecht, wie er schläft, wie seine Hautfarbe und seine Zunge aussehen oder sich sein Puls anfühlt. Daraus schließt der TCM-Arzt, welche Störung des inneren Gleichgewichts vorliegt. Es geht ihm also nicht um ein Teilsymptom, sondern um das aus den Fugen geratene ›Gesamtsystem Mensch‹.
Der Mensch wird nach Auffassung der chinesischen Medizin und Philosophie durch das Gegensatzpaar Yin und Yang bestimmt. Yin steht dabei für das Dunkle, Feuchte und Kalte. Yang symbolisiert Sonne, Wärme und Trockenheit. Bei einem gesunden Menschen befinden sich die Yin- und Yang-Energien des Körpers in völliger Balance. Kippt dieses Gleichgewicht, wird der Mensch krank.
Der Arzt stellte ganz andere Fragen
Auch Melanie Fehrmann merkte sofort, dass ihr TCM-Therapeut anders arbeitete als seine schulmedizinischen Kollegen. "Er hat ganz ungewohnte Fragen gestellt: zu meinem Leben, zu meinen Ess- und Schlafgewohnheiten, was die Schmerzen mit mir machen, wie sie sich anfühlen und wann sie auftreten." Auf Anraten des Arztes stellte sie ihre Ernährung um und wurde mit chinesischen Heiltees, sogenannten Dekokten, behandelt.
Bei einem Dekokt wird nicht einfach ein Kraut mit heißem Wasser überbrüht und eine Weile ziehen gelassen wie beim westlichen Teeaufguss. Vielmehr kocht man die Arzneikräuter oft längere Zeit aus, wie man das beispielsweise bei einer Hühnersuppe macht.
Die Rohstoffe für die Dekokte kommen direkt aus China und werden von spezialisierten Großhandlungen an Apotheken geliefert. "Wir Apotheker legen größten Wert darauf, nur geprüfte und zertifizierte Heilkräuter in den Rezepturen zu verarbeiten", betont Patrick Kwik. Der Apotheker ist chinesischer Abstammung und 1. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft deutscher TCM-Apotheken.
Momentan gibt es etwa 70 Apotheken in Deutschland, die mit der TCM arbeiten. Da die Herstellung der Rezepturen sehr aufwendig ist, erfordert die TCM viel Erfahrung. In der chinesischen Medizin werden keine einzelnen Kräuter als Arzneimittel eingesetzt. Jede Rezeptur besteht aus verschiedenen Komponenten: dem Hauptwirkstoff, auch Kaiser genannt, mehreren Ministern, die die Hauptwirkung ergänzen, und verschiedenen Assistenten und Adjutanten, die gegebenenfalls unangenehme Effekte des Kaisers ausgleichen und harmonisieren sollen.
Chinesische Arznei darf bitter sein
Da der Geschmack bereits einen Teil der Wirksamkeit dieser Rezepturen ausmacht, wird er nicht künstlich verbessert wie bei vielen westlichen Arzneien. Davon war Melanie Fehrmann zunächst nicht gerade begeistert: "Die Dekokte schmecken teilweise, naja, sehr gewöhnungsbedürftig und bitter." Aber durch die Behandlung kam bei ihr "etwas ins Rollen". Sie ließ sich nicht abschrecken.
Um noch gründlicher an der Linderung ihrer Schmerzen zu arbeiten, begibt sie sich für mehrere Wochen in eine TCM-Klinik. Dort bekommt sie weitere Dekokte, Akupunktur-Behandlungen, spezielle chinesische Massagen und auch psychologische Betreuung. Auch Qi Gong, das "chinesische Schattenboxen", steht regelmäßig auf ihrem Programm. Diese Anwendungen dämpfen zum einen ihre Schmerzattacken und tragen andererseits dazu bei, dass diese später nicht mehr so häufig wiederkehren.
Die TCM ist sicher nicht jedermanns Sache, denn sie erfordert viel Einsatz vom Patienten. Es reiche nicht, einfach mal zwei Wochen lang Tee zu trinken, bestätigt Melanie Fehrmann. "Mein Weg war lang und hart", sagt sie rückblickend. "Aber mir hat die chinesische Medizin sehr geholfen." Ihre Schmerzen sind nicht komplett verschwunden, treten aber nur noch ein- oder zweimal im Jahr auf – statt zwei- bis dreimal in der Woche. "Ich fühle mich nicht mehr als chronische Schmerzpatientin, sondern als gesunder, lebensfroher Mensch, der wie andere auch hin und wieder einmal Schmerzen hat."
Apotheker Rüdiger Freund
(* Name von der Redaktion geändert)
Um noch gründlicher an der Linderung ihrer Schmerzen zu arbeiten, begibt sie sich für mehrere Wochen in eine TCM-Klinik. Dort bekommt sie weitere Dekokte, Akupunktur-Behandlungen, spezielle chinesische Massagen und auch psychologische Betreuung. Auch Qi Gong, das "chinesische Schattenboxen", steht regelmäßig auf ihrem Programm. Diese Anwendungen dämpfen zum einen ihre Schmerzattacken und tragen andererseits dazu bei, dass diese später nicht mehr so häufig wiederkehren.
Die TCM ist sicher nicht jedermanns Sache, denn sie erfordert viel Einsatz vom Patienten. Es reiche nicht, einfach mal zwei Wochen lang Tee zu trinken, bestätigt Melanie Fehrmann. "Mein Weg war lang und hart", sagt sie rückblickend. "Aber mir hat die chinesische Medizin sehr geholfen." Ihre Schmerzen sind nicht komplett verschwunden, treten aber nur noch ein- oder zweimal im Jahr auf – statt zwei- bis dreimal in der Woche. "Ich fühle mich nicht mehr als chronische Schmerzpatientin, sondern als gesunder, lebensfroher Mensch, der wie andere auch hin und wieder einmal Schmerzen hat."