Natascha Schleif
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15.09.2023
Viele Menschen kennen es: Kurz vor dem Einschlafen, wenn der Tag geschafft ist und die wohlverdiente Nachtruhe ansteht, drängen sich plötzlich Sorgen in das Bewusstsein. Warum ausgerechnet jetzt? Schlafmediziner und Psychotherapeut Professor Dr. Dieter Riemann vom Universitätsklinikum Freiburg erklärt: "Im geschäftigen Alltag sind wir sehr gut in der Lage, Probleme und Sorgen zu verdrängen. Wenn man nun aber nachts im Bett liegt, die Augen schließt und damit äußere Reize blockiert, holt das Gehirn diese unangenehmen Dinge wieder hervor." Nicht selten komme es gerade in der Nacht zu einem regelrechten Karussell aus negativen Gedanken, das sich kaum noch kontrollieren lasse. Häufig befinde man sich schon in einer Art Halbschlaf, informiert der Experte. "Die meisten Menschen glauben natürlich, dass sie beim Grübeln vollständig wach sind. Beobachtungen aus dem Schlaflabor zeigen aber, dass man dabei häufig schon in einem Zustand zwischen Wachen und Schlafen pendelt", so Riemann.
Treten diese nächtlichen Grübeleien nur sporadisch auf, besteht kein Anlass zur Sorge. Findet man aber über einen längeren Zeitraum nur schwer in den Schlaf, kann das problematisch werden – vor allem, wenn man schon vor dem Zubettgehen fürchtet, in dieser Nacht wieder schlecht zu schlafen. Die Folge dieser Angst ist oft, was man eigentlich vermeiden wollte: eine weitere durchwachte Nacht. "Schlafen ist ein Prozess, der viel mit Loslassen zu tun hat. Wenn ich nun mit dem Gedanken zu Bett gehe, heute unbedingt gut und schnell einschlafen zu müssen, bin ich innerlich so angespannt, dass es nicht funktionieren kann", erklärt der Psychotherapeut.
Entspannen lässt sich lernen
Wer aus diesem Teufelskreis ausbrechen will, muss lernen, sich bewusst zu entspannen. "Das haben viele Menschen nahezu verlernt. Es gibt aber Techniken, mit denen man Entspannung üben kann", weiß Riemann. Als Beispiele nennt er Progressive Muskelentspannung, Autogenes Training, Yin Yoga, Atemübungen, geführte Meditationen oder Traumreisen. Ein weiterer Tipp: Mindestens ein bis zwei Stunden vor dem Zubettgehen eine Checkliste für den nächsten Tag schreiben. Hier notiert man sich alles, was man erledigen möchte oder welche Probleme anstehen. Auf diese Weise beschäftigt sich das Gehirn bereits aktiv mit den Dingen, die einem sonst eventuell den Schlaf rauben würden. Zudem empfiehlt Riemann eine einfache Technik aus der Psychotherapie, die sogenannte paradoxe Intention: Dabei geht man mit dem festen Vorsatz zu Bett, in dieser Nacht so lange wie nur möglich wachzubleiben. "Das mindert den Druck und die Angst vor einer weiteren schlaflosen Nacht und hilft vielen Betroffenen, doch einzuschlafen", weiß der Experte.
Wann man zum Arzt gehen sollte
Manchmal lässt sich Schlaflosigkeit allein jedoch nicht mehr in den Griff bekommen. Riemann rät, spätestens einen Arzt aufzusuchen, wenn man mindestens drei Monate an mehreren Nächten pro Woche schlecht schläft und sich tagsüber dadurch beeinträchtigt fühlt. Das ist unter anderem auch wichtig, um herauszufinden, ob eine körperliche Ursache hinter den Problemen steckt, etwa eine Schilddrüsenüberfunktion. Schlaflosigkeit und Gedankenkreisen können zudem Symptome einer psychischen Erkrankung sein: "Bei einer Depression treten sehr häufig Sorgen und Gedankenschleifen auf, allerdings nicht nur in der Nacht, sondern oft auch am Tag und vor allem in den frühen Morgenstunden", berichtet der Psychotherapeut. Kommen Freudlosigkeit, Konzentrationsprobleme, Antriebslosigkeit oder Schuldgefühle hinzu, ist eine Abklärung beim Arzt wichtig.