Etwa ein Drittel der Bevölkerung kennt sie: Muskelkrämpfe, die ohne eine vorherige körperliche Belastung wie aus dem Nichts ab und zu einsetzen. Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko dafür an. "Muskelkrämpfe, die nachts auftreten, sind meistens gutartig", sagt Professor Dr. Gereon Nelles vom Berufsverband der Deutschen Nervenärzte. Sie gehen häufig auf eine Verschiebung der Elektrolyte zurück. "Wenn das Verhältnis von Natrium-, Kalium- oder Calcium-Ionen nicht richtig ausgewogen ist, kann sich die Nervenzelle leichter entladen, und es kommt zu einer Muskelkontraktion, wo keine erwünscht ist", erklärt der Neurologe. Biologisch sei dies im Wesentlichen nicht viel anders als bei Muskelkrämpfen, die bei einer besonderen Anstrengung entstehen, beispielsweise einem Marathonlauf. Auch hier verschiebe sich durch das Schwitzen das Verhältnis der Elektrolyte. Gleiches gilt für übermäßigen Alkoholkonsum und auch für Vitamin-D-Mangel, der seinerseits die Calcium-Konzentration an der Zellmembran beeinflusst.
Im Akutfall hilft Dehnung
Verkrampfen die Muskeln, reagieren viele spontan richtig und dehnen. "Bei einem akuten Krampf bleibt einem nichts anderes übrig, als die Aktivität zu durchbrechen. Mit einer Dehnung in die entgegengesetzte Richtung lässt sich der Krampf lösen", so Nelles. Da eine verkürzte Muskulatur das Auslösen eines Krampfes erleichtert, kann Dehnen die Wahrscheinlichkeit verringern, dass es dazu kommt. In der Leitlinie zur Behandlung von nächtlichen Wadenkrämpfen raten Mediziner zu regelmäßigen Dehnübungen. "Besonders Läufer können mit einer guten Gymnastik Krämpfen vorbeugen. Aber auch für ältere Menschen ist das eine gute Empfehlung", sagt der Neurologe. Er rät Menschen, die zu Wadenkrämpfen neigen, die Wadenmuskulatur zweimal am Tag mit gymnastischen Übungen zu dehnen.
Magnesium zur Stabilisierung
Die Wirksamkeit von Magnesium ist zwar durch Studien nicht gut belegt. Dennoch empfiehlt die Leitlinie wegen des sehr günstigen Nebenwirkungsprofils einen Versuch. "Magnesium kann helfen, weil es sehr schnell und effektiv die Muskelmembran stabilisiert", so Nelles. Dadurch sind Nervenzellen nicht so leicht erregbar, und die Gefahr für Kontraktionen sinkt. Aufpassen müssen allerdings Menschen mit einer Nierenschwäche. Nelles: "Hier müsste man möglicherweise den Magnesium-Spiegel im Blut kontrollieren."
Gute Belege gibt es dagegen für die Wirksamkeit von Chinin. "Das funktioniert gut, hat aber ein nicht unerhebliches Nebenwirkungsprofil", erklärt der Neurologe. Da es die Herzfrequenz verlangsame, bekämen es vor allem ältere Menschen sowie Menschen mit einer Vorschädigung des Herzens nicht mehr verschrieben. Wegen dieser und anderer Nebenwirkungen setzen Ärzte chininhaltige Mittel nur in zweiter Linie ein und nur bei sehr schweren und häufigen Krämpfen.
Hanke Huber