SeniorenGesundheit

Demenz erkennen: "Viele denken, die Oma wird halt tüdelig"

Hanke Huber  |  01.04.2024

Eine beginnende Demenz zu erkennen, fällt gar nicht so leicht. Wie sie sich bemerkbar macht, erklärt Professor Dr. Jörg Schulz, Vorsitzender des Netzwerkes Gedächtnisambulanzen.

Frau, kümmert sich um ihre ältere Mutter.
Die Symptome einer beginnenden Demenz werden oft als normale Altersvergesslichkeit abgetan.
© PIKSEL/iStockphoto

Herr Professor Schulz, welche Veränderungen können ein Hinweis auf eine Demenz sein?

Schulz: Bei der Alzheimer-Krankheit sind Gedächtnisstörungen der Kern der kognitiven Einschränkungen. Damit ist das Gedächtnis aus der jüngeren Vergangenheit gemeint, also das, was ich gestern erlebt oder heute Morgen gefrühstückt habe. Wir nennen es das episodische Gedächtnis. Jeder von uns kennt es, dass er doch mal irgendwas vergisst. Hellhörig sollte man werden, wenn selbst Hinweise wie "das war doch da und da" nicht weiterhelfen. Das Langzeitgedächtnis, also das, was ich in meinem frühen Erwachsenenalter gemacht, was ich gelernt oder mir für meinen Beruf angeeignet habe, ist dagegen meist komplett vorhanden. Aber Kognition ist natürlich weit mehr als nur Gedächtnis. Auch räumliche Orientierungsstörungen, Wortfindungs- oder Sprachstörungen oder Persönlichkeitsveränderungen oder ein eingeschränktes Urteilsvermögen können Frühsymptome sein.

Was kann noch beeinträchtigt sein?

Schulz: Andere Demenzformen betreffen beispielsweise die Schnelligkeit des Denkens. Es ist normal, dass das Nachdenken im Alter manchmal ein bisschen länger dauert. Man kommt aber letztlich doch auf das richtige Ergebnis. Eine Demenz kann dazu führen, dass jede Entscheidungsfi ndung sehr lange dauert. Betroffene sind nicht mehr in der Lage, die Fakten richtig abzuwägen und kommen zu falschen Urteilen. Bei wieder anderen Demenzformen stehen sprachliche Störungen im Vordergrund, also Wortfindungsstörungen oder Schwierigkeiten, grammatikalisch richtige Sätze zu bilden. Das im Detail zu untersuchen, ist die Aufgabe der Gedächtnisambulanz.

Warum wird die Diagnose oft erst spät gestellt?

Schulz: Die ersten pathologischen Veränderungen im Gehirn treten 15 bis 20 Jahre vor der Diagnose der Alzheimer-Krankheit auf. Im frühen Stadium der Krankheit zeigen sich zunächst keine und dann sehr leichte Symptome. Sind diese in neuropsychologischen Tests objektivierbar, der Patient aber überwiegend zu normalen Alltagsaktivitäten fähig, sprechen wir von einer milden kognitiven Beeinträchtigung. Wir sind also in der Lage, die ersten Veränderungen im Gehirn über lange Zeit gut zu kompensieren. Viele können auch ihren Beruf zunächst weiter ausüben. Doch irgendwann sind diese Veränderungen so stark, dass diese Kompensation – wir nennen das auch kognitive Reserve – nicht mehr funktioniert. Dann sind die Patienten aber meist schon im Stadium einer leichten oder mittelschweren Demenz. Und dann verhält es sich de facto in Deutschland so, dass ein gewisser Grad an Vergesslichkeit kulturell akzeptiert ist. Die Oma wird halt mit dem Alter etwas tüdelig. Zu uns kommen dann manchmal Patienten, die schon über Monate oder sogar Jahre eine Demenz entwickelt haben, ohne dass es richtig ernst genommen oder therapiert wurde.

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