Natascha Koch
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04.02.2021
Dank moderner Therapien versterben heute deutlich weniger Menschen an bösartigen Tumoren. Bei Patienten, die den Krebs besiegt haben, können jedoch auch noch Jahre nach der Tumortherapie Nebenwirkungen auftreten, unter anderem Diabetes. Im Gespräch mit aponet.de erklärt Dr. Susanne Reger-Tan, Oberärztin der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen am Universitätsklinikum Essen, warum es wichtig ist, das Bewusstsein dafür bei Therapeuten und Patienten zu stärken.
Dank moderner Krebstherapien mit Checkpoint-Inhibitoren kann immer mehr Krebspatienten geholfen werden. Wann kommen solche Immuntherapien zum Einsatz und welche Vorteile haben Sie?
Reger-Tan: Mithilfe von Checkpoint-Inhibitoren können viele verschiedene Tumorerkrankungen erfolgreich behandelt werden. Die Wirkstoffe werden vor allem bei fortgeschrittenem oder metastasiertem Krebs eingesetzt. Für viele Patienten ist es die einzige verbleibende Therapieoption. Insgesamt sind die Nebenwirkungen auch eigentlich schwächer als bei herkömmlichen Krebstherapien. Checkpoint-Inhibitoren aktivieren das Immunsystem gegen Krebszellen. In der Immunabwehr existieren spezielle Schaltstellen (Checkpoints). Diese sorgen dafür, dass die Immunantwort nach erfolgreicher Abwehr eines Krankheitserregers wieder beendet wird. Krebszellen nutzen und aktivieren diese Checkpoints, um die Immunaktivität zu verringern und sich so vor Immunzellen zu schützen. Checkpoint-Inhibitoren wiederum hemmen diese Checkpoints. Das hat eine Steigerung der Immunreaktion gegen Tumorzellen zur Folge. Die Abwehrzellen können dadurch die Krebszellen wiedererkennen und ihr Wachstum verhindern.
Welche Nebenwirkungen können auftreten?
Reger-Tan: Medikamente zur Behandlung von Tumoren haben oft einen negativen Einfluss auf den Glukosestoffwechsel. Dadurch kann die Glukose aus der Nahrung nicht mehr in ausreichender Menge vom Blut in die Zellen gelangen. Als Folge dessen ist der Blutzucker dauerhaft erhöht. Es kommt zu einem Typ-2-Diabetes. Beim Einsatz bestimmter Checkpoint-Inhibitoren kann es – wenn auch nur selten – zu einer neuen Form des Typ-1-Diabetes kommen. Denn das Immunsystem richtet sich bei der Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren nicht nur sehr effektiv gegen die Krebszellen, sondern teilweise auch gegen gesunde Zellen. Wenn es sich dabei um die Betazellen in der Bauchspeicheldrüse handelt und diese zerstört werden, produziert der Körper gar kein Insulin mehr. Zwar sind aktuell nur etwa ein Prozent der Patienten betroffen, aber dieser Insulinmangel-Diabetes ist lebensbedrohlich. Es muss umgehend Insulin zugeführt werden
Worauf sollten Krebspatienten achten, die eine Immuntherapie erhalten?
Reger-Tan: Diese Art der Behandlung ist zweifelsohne eine große Chance, den Verlauf der Krebserkrankung deutlich positiv zu beeinflussen. Das gilt sogar für Krebspatienten, die auf herkömmliche Therapien nicht ansprechen. Im Vorfeld der Therapie sollten sich Patienten aber auch mit den möglichen Nebenwirkungen auseinandersetzen und diese mit ihren Ärzten besprechen, damit sie sensibilisiert dafür sind. Das ist umso wichtiger, weil Diabetes nicht weh tut. Und die Symptome sind teilweise schwer abzugrenzen gegenüber den Begleiterscheinungen einer Krebserkrankung oder -therapie. Abgeschlagenheit und Konzentrationsschwäche, Gewichtsabnahme und Infektanfälligkeit können in beiden Fällen auftreten. Häufiges Wasserlassen auch in der Nacht und ein ungewöhnlich hohes Durstgefühl oder eine merkliche Verschlechterung der Sehschärfe deuten auf einen hohen Blutzucker hin. Deshalb rate ich Krebspatienten dazu, regelmäßig auch ihre Blutzuckerwerte prüfen zu lassen. Wenn Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen und ein ungewöhnlich süß-fruchtiger Mundgeruch auftreten, sollte rasch ein Arzt konsultiert werden. Denn diese Anzeichen können auf eine Übersäuerung des Blutes hindeuten, möglich Folge eines Insulinmangeldiabetes. Dieser muss umgehend behandelt werden.