Natascha Koch
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03.08.2022
Bis vor 20 Jahren war das Phänomen unter Medizinern noch weitgehend unbekannt. "Heute wissen wir, dass eine mehr oder weniger belastende Geräuschüberempfindlichkeit bei sechs bis acht Prozent der Bevölkerung vorkommt. Frauen sind etwas häufiger betroffen als Männer", sagt Professor Dr. Gerhard Goebel, der im Vorstand der Deutschen Tinnitus-Liga e.V. aktiv ist. Trotz allem kennt man das Krankheitsbild hierzulande noch wenig.
Ursachen für eine Hyperakusis gibt es viele: Hörschäden, eine Schädelverletzung oder eine Hirnoperation kommen unter anderem als Auslöser infrage. Aber auch die Psyche spielt eine Rolle. "Stress, Depressionen und Angststörungen treten oft gemeinsam mit einer Geräuschüberempfindlichkeit auf", erklärt Goebel. Häufig leiden Betroffene gleichzeitig unter Tinnitus, manchmal ist die Hyperakusis auch ein Vorbote für die pfeifenden Ohrgeräusche: In schätzungsweise 30 Prozent der Fälle geht die Geräuschüberempfindlichkeit einem Tinnitus voraus.
Gehörschutz verstärkt die Problematik
Wer vermutet, an einer Geräuschüberempfindlichkeit zu leiden, sucht im ersten Schritt am besten einen Hals-Nasen-Ohrenarzt auf. Dieser kann klären, was es mit den Symptomen auf sich hat. Beim Hörtest zeigt sich dann oft, dass Betroffenen schon ein normaler Geräuschpegel von unter 70 Dezibel Probleme bereitet. Viele Betroffene fürchten, dass die als zu laut empfundenen Geräusche ihrem Gehör schaden könnten. Sie tragen deswegen häufig Ohrstöpsel oder vermeiden Besuche im Kino oder einem Café. "Das ist jedoch genau der falsche Weg. Wer alltäglichen Geräuschen aus dem Weg geht, trägt dazu bei, dass sich die Überempfindlichkeit verstärkt", warnt der Experte.
Bei der Therapie ist also vor allem der Patient gefragt. Der erste Schritt besteht darin, den Höreindrücken nicht mehr aus dem Weg zu gehen, sondern sie auszuhalten. "Am besten geht man dabei Schritt für Schritt vor und verlangt zu Beginn noch nicht zu viel von sich", sagt Goebel. Das könne zum Beispiel bedeuten, Musik, das Radio oder den Fernseher zu Hause für einige Stunden laufen zu lassen und die Lautstärke von Woche zu Woche immer etwas höher zu drehen. "Auch kleine Mutproben sind sinnvoll: sich zum Beispiel in die Nähe von Bahnschienen zu stellen und sich dem Lärm des vorbeifahrenden Zuges bewusst auszusetzen", empfiehlt Goebel.
Mit Rauschgenerator an Geräusche gewöhnen
Eine weitere Behandlungsmöglichkeit ist der Einsatz sogenannter Geräuschgeneratoren, die Patienten beim Hörakustiker erhalten. Diese Geräte werden am Ohr getragen und geben ein kontinuierliches Rauschen ab, dessen Lautstärke sich individuell einstellen lässt. Die Geräte werden vor allem in der Stille eingesetzt, um das Gehirn wieder langsam an Geräusche zu gewöhnen.
Neben der Hyperakusis existieren übrigens auch andere Formen der Geräuschüberempfindlichkeit. So gibt es zum Beispiel auch Menschen, die bei ganz bestimmten Geräuschen eine ausgeprägte Wut oder Ekel empfinden, etwa beim Schmatzen des Tischnachbarn. Mediziner bezeichnen diese Störung als Misophonie.