Jugendliche

"Kinder mit Diabetes nicht in Watte packen!"

Christina Brunner  |  16.01.2024

Kinder und Jugendliche mit Diabetes haben im Vergleich zu Gleichaltrigen ein höheres Risiko für Depressionen. Damit sie gesund aufwachsen, bedarf es nicht nur der Kontrolle von Blutzuckerwerten. Prof. Dr. Bernhard Kulzer, Psychologischer Psychotherapeut am Diabetes Zentrum Mergentheim erklärt, wie man mit den besonderen Herausforderungen umgehen kann.

Kind mit CGM-Gerät.
Gerade die Pubertät kann für junge Patienten mit Diabetes eine herausfordernde Zeit sein.
© monkeybusinessimages/iStockphoto

Wie bekommen betroffene Kinder und Jugendliche, aber auch Eltern das nötige Rüstzeug, um in jeder Hinsicht mit dem Diabetes gut umzugehen?

Kulzer: Es gibt neben den essenziellen Schulungsprogrammen auch spezielle Trainingskurse, in denen es um den besseren Umgang mit dem Diabetes innerhalb der Familie geht. Denn die Familie und deren soziale Unterstützung sind sehr wichtig. Je besser die Eltern und das Umfeld mit der Erkrankung zurechtkommen, desto besser wird es dem Kind oder dem Jugendlichen damit ergehen. Das vermeidet langfristig psychische Probleme und senkt das Depressionsrisiko.

Was bedeutet der Begriff "Resilienz" in diesem Zusammenhang?

Kulzer: Das ist allgemein die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne Schaden zu überstehen. In diesem Zusammenhang ist es die Fähigkeit der Eltern und Kinder, trotz Diabetes psychisch gesund zu bleiben. Dazu tragen positive Erfahrungen und Selbstfürsorge, aber auch Optimismus bei. Ich rate Eltern, ihre Kinder nicht in Watte zu packen. Die Kinder sollen möglichst normal aufwachsen. Der Diabetes soll nicht immer im Vordergrund stehen.

Welche Lebensphase von Kindern und Jugendlichen ist besonders herausfordernd? 

Kulzer: Die Pubertät ist naturgemäß eine herausfordernde Phase. Der Jugendliche will selbstständig werden. Nicht nur im Hinblick auf den Diabetes verlangt das von den Eltern viel Vertrauen. Hier die Balance zu finden, ist oft ein Drahtseilakt. Botschaften wie "du musst vorausschauend handeln" kommen meist schlecht an. Eltern dürfen aber trotzdem den Draht zu ihren Kindern nicht verlieren. Und auch nicht den Überblick. Das betrifft besonders den Umgang mit den neuen AID-Technologien. Diese Systeme erleichtern den Alltag sehr. Allerdings sind Insulinpumpen oder AID-Systeme auffällig und können stigmatisieren. Der Umgang damit verlangt viel Selbstbewusstsein.

Sind Eltern von betroffenen Kindern ebenfalls häufiger von einer Depression betroffen?

Kulzer: Besonders die Mütter sind durch die tägliche Therapie und die Sorge um die Kinder belastet. Das kostet viel Kraft und führt zu einem erhöhten Depressionsrisiko.

Kann eine Diabetes-Diagnose auch positive psychische Effekte auslösen?

Kulzer: Ja! Wenn es Kindern mithilfe der Eltern gelingt, die Herausforderungen des Diabetes zu meistern, kann das eine Kraftquelle fürs gesamte weitere Leben sein. Sie können auch stolz auf sich sein, denn sich das umfangreiche Wissen zu Themen wie Ernährung und Sport anzueignen, wird einem nicht geschenkt. Menschen mit Diabetes sind darin aber Experten.

Vielen Dank für das Gespräch!

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