Peter Erik Felzer
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31.05.2024
„Die Idee kam uns während der Corona-Pandemie“, blickt Professor Dr. Anne Seidlitz zurück. Bei einigen Geräten im Labor gingen ein paar Teile kaputt. Aufgrund der Lieferengpässe gab es nicht für alles ein Ersatzteil. „Wir haben die dann einfach mit einem handelsüblichen 3D-Drucker selbst hergestellt. Und weil das so gut funktioniert hat, wollten wir das einfach auch mit Arzneimitteln ausprobieren“, so die Professorin für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Die Industrie setzt 3D-Drucker ein, um Prototypen herzustellen oder sogar ganze Häuser zu bauen. Für den Privatbereich finden sich im Internet mittlerweile unzählige Vorlagen. Vom Flaschenöffner über Blumenvasen bis hin zu künstlerischen Objekten. In der Medizin kommt die Technik bislang zum Einsatz, wenn es um persönliche Anpassungen geht. Individuelle Ohrteile für ein Hörgerät sorgen für den perfekten Sitz. Zahnschienen passen und wackeln nicht. Selbst Gelenkersatz oder sogar Körpergewebe stammt inzwischen zum Teil aus dem 3D-Drucker.
Erstes Präparat in USA zugelassen
Und Medikamente? Die Arzneibehörde der USA ließ 2015 das erste Medikament aus einem 3D-Drucker zu. Es handelt sich um den Levetiracetam. Er kommt bei epileptischen Anfällen zum Einsatz. Dem Hersteller gelang es, mit dem 3D-Drucker eine Tablette herzustellen, die sich im Mund in Sekundenschnelle auflöst. Allerdings besitzt die Technik einen Nachteil: Die Kosten liegen um ein Mehrfaches über Arzneimitteln, die im Massenverfahren aus einer maschinellen Tablettenpresse stammen.
Expertin Seidlitz sieht daher den Vorteil von 3D-Druckern vor allem bei sogenannten Rezepturen. Diese Arzneimittel stellen Apotheken individuell vor Ort her. Dies geschieht besonders dann, wenn es das benötigte Medikament nicht auf dem Markt gibt. Man erinnere sich nur an die Lieferengpässe bei Fiebersäften während der Coronapandemie. Oder es gibt die Präparate nicht in der passenden Dosierung. „Das betrifft besonders Arzneimittel für Kinder“, weiß die Professorin.
So lassen sich Tabletten in kleineren Formaten und Dosierungen für Kinder individuell drucken. Das funktioniert auch mit Zäpfchen. Ein Nachteil: Die Ausgangsstoffe muss Seidlitz mit ihrem Team noch selbst in druckfähiger Form produzieren. Ein Aufwand, der die Apotheken vor Ort überfordern würde. Aber es gibt erste Lösungen. Einige Hersteller produzieren nicht nur die ersten Prototypen für den Arzneimitteleinsatz. Sie liefern auch die ersten Wirk- und Hilfsstoffe. Nach entsprechender Programmierung stellt der 3D-Drucker die genau passende Mischung her.
Individuelle Kombipräparate
Ein weitere mögliche Einsatzmöglichkeit in der Zukunft: Mehrere Wirkstoffe in einer Tablette zu drucken. So müssten Patienten etwa nicht fünf verschiedene Präparate einnehmen, sondern hätten eine einzige gedruckte Kombitablette. Ein Nachteil des Verfahrens: Spezielle Beschichtungen, die die Wirkstofffreisetzung beeinflussen, lassen sich nicht drucken. Hier experimentieren Seidlitz und ihr Team mit verschiedenen Tablettenformen.
„Es ist eine faszinierende Technologie“, so das Fazit der Expertin. „Allerdings wird sie die herkömmlichen Tablettenpressen nicht ersetzen. Aber es wird Nischen wie die bereits erwähnten Rezepturen geben. Eine weitere Möglichkeit sieht sie in gedruckten Implantaten, die einen Wirkstoff abgeben. Es gibt Kinder, die mit einem verschlossenen Gehörgang auf die Welt kommen. Ärzte können diesen öffnen, doch er wächst immer wieder zu. Die medizinische Hochschule Hannover druckte für ein achtjähriges Mädchen ein passgenaues Implantat, das den Gehörgang offen hält. Dieses beschichteten sie zusätzlich mit den Wirkstoffen Dexamethason und Ciprofloxacin. Mit Erfolg. Auch sechs Monate, nachdem die Mediziner das Implantat entfernt haben, blieb der Gehörgang offen.