Spielt das auch eine Rolle in der Entstehung von Adipositas?
Luck-Sikorski: Ja. Man hat mittlerweile eine gute Studienlage, dass Gewicht und Stigmatisierung in Zusammenhang stehen. Experimentelle Studien zeigen, dass Menschen nach einer Stigmatisierungserfahrung eine ausgeprägte Stressreaktion zeigen. Und das beeinflusst unter anderem das Ernährungsverhalten. Menschen tendieren dazu, mehr und ungesünder zu essen und sich weniger zu bewegen. In Kohortenstudien sehen wir, dass Kinder und Jugendliche, die Mobbingerfahrungen aufgrund ihres Gewichts hatten, eine höhere Krankheitslast und einen schlechteren BMI-Verlauf zeigen.
Dünneren fehlt mitunter das Verständnis für die Erkrankung. Was können Sie jenen Menschen sagen?
Luck-Sikorski: Adipositas ergibt sich aus einem bestimmten Genprofil und aus einer familiären Belastung. Hinzu kommen die Verhältnisse, in denen wir leben. Ich kenne keinen Menschen mit Adipositas, der noch nie versucht hat, abzunehmen. Aber jeder, der Erfahrungen mit chronischen Erkrankungen hat, weiß, wie wahninnig anstrengend es ist, sich immer damit zu beschäftigen. Wir brauchen wie für andere chronische Erkrankungen bessere Therapieangebote: neben einer Initialbehandlung auch eine langfristige Betreuung und eine Überführung in den Alltag. Ein Disease Management Programm könnte das in Zukunft erleichtern.