15.06.2012
Paracetamol gilt bei bestimmungsgemäßem Gebrauch als sicheres und verträgliches Arzneimittel. In niedriger Dosierung ist es bei Erkältungen, Fieber und leichten Schmerzen ein zuverlässiger Helfer und rezeptfrei in der Apotheke erhältlich. Selbst in der Schwangerschaft kann es bei Bedarf eingenommen werden. Und Eltern kleiner erkrankter Kinder vertrauen seit Jahrzehnten auf das Schmerz und Fieber senkendes Potenzial von Paracetamol. Auf Grund neuerer Studien ist jedoch unter Experten eine Diskussion entbrannt, ob Paracetamol bislang nicht allzu sorglos eingesetzt wurde.
Dass Paracetamol in höherer Dosierung möglicherweise Nebenwirkungen wie Leberschädigungen und Bluthochdruck bewirken kann, ist schon länger bekannt. "Die Gefahr, dass Überdosierungen nicht mehr zu ändernde Leberzellschädigungen bis zum Leberversagen auslösen können, führte zu einer Limitierung der Packungsgröße im Rahmen der Selbstmedikation. So ist Paracetamol in Packungsgrößen mit insgesamt mehr als zehn Gramm heute verschreibungspflichtig", sagte der Arzneimittel-Experte Hartmut Morck, Professor im Fachbereich Pharmazie der Philipps-Universität Marburg, im Gespräch mit der Neuen Apotheken Illustrierten. In der Tat: Schon eine einmalige Dosierung von zehn Gramm kann bei Erwachsenen eine schwere Vergiftung auslösen.
Verdacht neuer Nebenwirkungen
Relativ neu ist jedoch der Verdacht, dass Paracetamol, wenn es während der Schwangerschaft eingenommen wird, beim männlichen ungeborenen Kind zu Hodenfehllagen führen kann. Die Betroffenen können dann später eine verminderte Zeugungsfähigkeit und ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von bösartigen Hodentumoren davontragen. Spermienzahl und -vitalität können im späteren Leben reduziert sein. Außerdem deuten mehrere neuere Untersuchungen daraufhin, dass Kinder häufiger an Asthma erkranken, wenn sie noch im Mutterleib oder als Kleinkinder dieser Substanz ausgesetzt waren. Allerdings ist bislang ungeklärt, ob die erhöhte Asthmarate wirklich auf das Paracetamol zurückzuführen ist oder ob ein zusätzlicher Gendefekt die Ursache sein könnte.
Manche Experten sehen deshalb Paracetamol als "Wolf im Schafspelz", der Schwangeren nicht empfohlen werden dürfe. Sie fordern, Paracetamol zumindest komplett der Rezeptpflicht zu unterstellen. Noch sicherer wäre es allerdings, dieses Schmerzmittel ganz vom Markt zu nehmen, so ihre Meinung.
Tatsache ist, dass die Verdachtsmomente derzeit von der Europäischen Arzneimittelagentur genauestens unter die Lupe genommen werden, informiert Morck. Kommen die Experten zu dem Schluss, dass Paracetamol ursächlich an der erhöhten Asthmarate und den Hodenfehlstellungen beteiligt ist, werden entsprechende Maßnahmen eingeleitet. Diese müssen dann auch in Deutschland umgesetzt werden.
Bis dahin bleibt festzuhalten: "Angesichts der langjährigen Erfahrung mit Paracetamol ist Panikmache oder eine übertriebene Angst fehl am Platze", betonte Morck. "Nach wie vor ist gegen die kurzfristige Einnahme von Paracetamol bei akuten Schmerzen oder Fieber nichts einzuwenden. Das gilt für kleine Kinder wie auch für den Einsatz während einer Schwangerschaft. Es ist nach wie vor eines der Mittel der ersten Wahl. Gegen Ende der Schwangerschaft, wenn es auf den Geburtstermin zugeht, sollte Paracetamol – wie andere Schmerzmittel auch – nicht angewendet werden."
Genauso sieht es im Übrigen auch die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK). Sie begrüßt die Rezeptpflicht für Packungen, die mehr als zehn Gramm Wirkstoff enthalten. Für die Anwendung in der Schwangerschaft sieht die AMK derzeit keinen Anlass zu einer Neubewertung der Risiken. In der Apotheke erhalten besorgte (zukünftige) Eltern kompetenten Rat, nicht nur zur jeweiligen Dosierung.
Apothekerin Elke Wolf