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16.09.2022
Hat der Blutzucker wirklich etwas mit der Schilddrüse zu tun?
Müssig: Tatsächlich gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Schilddrüsen- und dem Blutzuckerstoffwechsel. Ein Zuviel oder Zuwenig an Schilddrüsenhormonen kann bei Diabetes den Blutzucker beeinflussen. Häufig ist es so, dass es bei einer Hypothyreose, einer Unterfunktion der Schilddrüse, zu niedrigen Blutzuckerwerten kommt. Und umgekehrt bei einer Hyperthyreose, also einer Überfunktion der Schilddrüse, zu erhöhten Blutzuckerwerten.
Weshalb reagiert der Körper so?
Müssig: Es gibt mehrere Gründe. Bei der Überfunktion nimmt die Insulinresistenz zu. Das heißt, das Insulin wirkt an Muskulatur und Fettgewebe weniger gut und Blutzucker gelangt schlechter in die Zellen. Zudem nimmt der Organismus mehr Glukose aus dem Darm auf. Drittens setzt die Leber, die ja eine kleine Zuckerfabrik im Körper ist, mehr Zucker frei als gewöhnlich. All diese Mechanismen führen zu erhöhten Blutzuckerwerten. Bei einer Unterfunktion können Patienten mit Diabetes hingegen plötzliche Unterzuckerungen bekommen. Zum einen wirkt das Insulin im Körper besser. Zum anderen nimmt der Darm weniger Zucker auf und die Leber produziert weniger Zucker.
Treten Schilddrüsenprobleme bei Menschen mit Diabetes öfter auf?
Müssig: Ja, tatsächlich. Zunächst zur Überfunktion: Menschen mit Typ-1-Diabetes entwickeln in jüngeren Jahren eher einen sogenannten Morbus Basedow, eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse. Beide Erkrankungen sind häufig vergesellschaftet. Bei älteren Menschen und bei Typ-2-Diabetes tritt häufiger ein autonomes Adenom auf, bei dem die Schilddrüse vermehrt Hormone freisetzt. Ein Grund hierfür ist, dass in Deutschland unverändert ein Jodmangel besteht. Auch wenn die Jodversorgung in den vergangenen Jahren deutlich besser geworden ist. Außerdem haben Menschen mit Diabetes, besonders wenn sie schlecht eingestellt sind, ein erhöhtes Risiko für einen Jodmangel, weil sie über den Urin auch vermehrt Jod ausscheiden. Dies begünstigt die Entstehung einer Jodmangelstruma, einer vergrößerten Schilddrüse, und damit auch das Auftreten von Knoten in der Schilddrüse. Daraus können sich autonome Adenome entwickeln.
Und die Unterfunktion?
Müssig: Da steckt fast immer eine Hashimoto-Thyreoiditis dahinter, bei der das körpereigene Immunsystem die Schilddrüse zerstört. Etwa zehn Prozent der Menschen in Deutschland haben ein erhöhtes Risiko, daran zu erkranken. Denn es liegen sogenannte Schilddrüsen- Autoantikörper vor. Die Hashimoto-Thyreoiditis tritt in jedem Alter auf, häufiger jedoch bei Jüngeren. Und öfter bei Frauen als bei Männern. Ein Mensch mit Typ-1-Diabetes hat ein etwa fünffach erhöhtes Risiko, Hashimoto-Thyreoiditis zu bekommen. Frauen haben außerdem ein erhöhtes Risiko, nach der Schwangerschaft eine Schilddrüsenentzündung, auch postpartale Thyreoiditis genannt, zu entwickeln. Diese kann anfangs zu einer Überfunktion führen, in der Folge kommt es aber dann zu einer Unterfunktion.
Machen sich Über- und Unterfunktion noch anders bemerkbar?
Müssig: Die Überfunktion kann sich durch einen schnelleren Herzschlag und vermehrtes Schwitzen äußern. Man fühlt sich aufgeregt und kann vielleicht schlecht schlafen. Auch ein Gewichtsverlust und Durchfall sind typische Hinweise auf eine Hyperthyreose. Eine Unterfunktion der Schilddrüse zeigt sich etwa durch vermehrte Müdigkeit, Gewichtszunahme, verminderten Herzschlag und eine Neigung zur Verstopfung.
Was sollte man tun, wenn man Schilddrüsenprobleme vermutet?
Müssig: Wer unerklärliche Blutzuckerschwankungen oder andere der genannten Symptome hat, sollte unbedingt seinen Arzt darauf ansprechen. Er kann die Blutwerte untersuchen und feststellen, ob etwas mit der Schilddrüse nicht in Ordnung ist. Wenn man einen Mangel an Schilddrüsenhormonen bei einer Unterfunktion wieder ausgleicht, werden sich die Blutzuckerwerte normalisieren und das Risiko für eine Unterzuckerung wird abnehmen. Eine Überfunktion lässt sich mit schilddrüsenblockierenden Medikamenten, Thyreostatika,
behandeln. In der Folge kann man eine Radiojodtherapie oder eine Operation durchführen. Auch dies führt zu einer Normalisierung des Schilddrüsen- und Blutzuckerstoffwechsels.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Katrin Faßnacht-Lee