Kirsten Metternich von Wolff
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02.12.2024
Beschwerden nach dem Konsum von Brot, Pasta oder anderen weizenhaltigen Lebensmitteln müssen nicht zwangsläufig mit einer Zöliakie einhergehen. Neben der chronischen Glutenunverträglichkeit oder einer Weizenallergie kommt als Auslöser auch eine sogenannte Weizensensitivität infrage. Hierbei handelt es sich um eine noch recht neu erforschte Erkrankung von der etwa 10 Prozent der deutschen Bevölkerung betroffen sind. Menschen mit chronischen Erkrankungen wie etwa chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, Multipler Sklerose, Typ-2-Diabetes, oder Nahrungsmittelallergien haben wahrscheinlich ein noch höheres Risiko.
Beobachtet wurde dabei, dass mehr Frauen als Männer und auch schon Kinder betroffen sein können. In den letzten Jahren hat die Zahl derer, die Brot, Pizza oder Nudeln schlechter vertragen, zugenommen. Fraglich, ob sich das Syndrom der Weizensensitivität häufiger auftritt, oder ob es an einem größeren Bewusstsein im Hinblick auf Unverträglichkeiten durch Getreide beruht.
Es kommen mehrere Ursachen infrage
Expertinnen und Experten vermuten als mögliche Ursachen steigendes Alter, genetische Faktoren sowie allergisierende Sensitivitäten auf zahlreiche Stoffe in Lebensmitteln. Ebenfalls im Verdacht: die Essgewohnheiten in Industrienationen sowie ein Plus an Fertigprodukten. Die Beschwerden treten nicht nur nach dem Konsum von Weizen, sondern auch anderer heimischer Getreide wie Gerste, Roggen oder Dinkel auf (siehe unten).
Zu den typischen Beschwerden zählen Durchfall, Verstopfung, krampfartige Bauchschmerzen oder Blähungen. Auch Kopfschmerzen, Migräne, chronische Müdigkeit und Abgeschlagenheit, sowie Muskel- und Gelenkschmerzen können auftreten. Um herauszufinden, ob eine Weizensensitivität vorliegt, sollte zunächst ausgeschlossen werden, dass es sich um eine Zöliakie, Weizenallergie, Reizdarmsyndrom oder eine FODMAP-Unverträglichkeit handelt.
Um das herauszufinden, bietet sich das Führen eines Ernährungstagebuchs an, das mithilfe eines Facharztes für Gastroenterologie oder einer zertifizierten Ernährungsfachkraft ausgewertet wird. Hier sollte – neben den gegessenen Lebensmitteln – vermerkt werden, ob und welche Beschwerden nach der Mahlzeit (Stunden bis Tage) auftreten. Im Anschluss an diese Phase wird auf Produkte wie Brot, Pasta, Gebäck und Co zu verzichtet und dies erneut dokumentiert. Im dritten Schritt werden die Lebensmittel nach und nach wieder eingeführt.
Ist Gluten die Wurzel allen Übels?
Etwa Mitte der 1980er-Jahre trat eine mögliche Weizensensitivität stärker ins Bewusstsein bei Forschenden aus Medizin und Wissenschaft. Zunächst wurde davon ausgegangen, dass es einen Zusammenhang mit dem Klebereiweiß Gluten gibt, welches bei einer Zöliakie zeitlebens nicht gegessen werden sollte. Beim Gluten handelt es sich um ein Gemisch verschiedener Speicherproteine, die sich in ihrer Struktur sehr ähneln. Sie kommen bevorzugt in Weizen, Gerste, Dinkel und Roggen vor, aber auch in älteren Getreidesorten, wie Einkorn und Emmer. Dementsprechend in sämtlichen Lebensmitteln, die daraus hergestellt werden.
Die Bezeichnung Klebereiweiß beruht auf der Eigenschaft, dass solch ein Proteingemisch den Teig von Brot, Kuchen & Co. zusammenhält und eine geschmeidige Konsistenz entsteht. Würde Gluten fehlen, ist Backen schwieriger. Deshalb werden glutenfreien Alternativen zu Brot oder Gebäck andere Substanzen wie Flohsamenschalen, Pektin oder Guar zugesetzt, um eine ähnliche Teigkonsistenz zu erreichen. Mittlerweile weiß die Forschung, dass, bei einer Weizensensitivität, Gluten nicht der entscheidende Auslöser für Beschwerden ist. Betroffene reagieren wahrscheinlich auf sogenannte ATI (Amylase-Trypsin-Inhibitoren). Diese Proteine stecken jedoch nicht nur in Weizen, sondern auch in anderen heimischen – und damit glutenhaltigen – Getreidearten wie Roggen, Gerste und Dinkel (siehe unten).
Bei einer Zöliakie richtet sich das spezifische Immunsystem gegen körpereigene Enzyme, die am Gluten-Stoffwechsel beteiligt sind. Das hat zur Folge, dass nach dem Konsum glutenhaltiger Lebensmittel, Entzündungen der Dünndarmschleimhaut entstehen, was die Dünndarmschleimhaut nahhaltig schädigt. Deshalb muss lebenslang auf glutenhaltige Lebensmittel verzichtet werden.
Die Weizenallergie basiert auf einer Überreaktion des Immunsystems auf Weizeneiweiß wie Albumin, Globulin oder auch Gluten. Allerdings richtet sich das Immunsystem hier nicht gegen Körperzellen und die Darmschleimhaut wird nicht in Mitleidenschaft gezogen. Neben Magen-Darm-Beschwerden kann es zu Asthma und Ekzemen kommen. Bei einer Weizensensitivität nimmt die Darmschleimhaut keinen Schaden. Hier zeigen sich körperliche Beschwerden, auf Grund einer genetischen Disposition oder entzündlichen Veränderungen. Diese bessern sich, wenn beispielsweise auf sehr gluten- oder weizenreiche Produkte verzichtet wird.
Nicht auf eigene Faust auf Gluten verzichten
Glutenfreie Produkte wie Brot, Kuchen, Plätzchen oder Müsli-Mischungen sowie -Riegel gibt es mittlerweile in jedem Drogeriemarkt, gut sortierten Supermärkten und teils bei Discountern. Einige Menschen haben nach dem Genuss getreidehaltiger Lebensmittel Beschwerden. Oft stellen sie aus vermeintlichen Sicherheitsgründen ihre Ernährung auf solche Ersatzprodukte um. Empfehlenswert ist es medizinisch abzuklären, was die Ursache des Übels ist. Denn insbesondere bei einer Weizen- beziehungsweise ATI-Sensitivität reicht es oft schon Produkte mit einem hohen Anteil an Weizen, Roggen. Gerste oder Dinkel zu ersetzen. Beispielsweise gegen Alternativen wie glutenfreies Brot und Gebäck, glutenfreie Pasta oder solche aus Hülsenfrüchten, sowie Alternativen auf Basis von Hafer. Lebensmittel, die lediglich kleine Mengen glutenhaltiger Getreide enthalten, wie Saucen, Würzmischungen oder Milch- und Milchprodukte mit Zusätzen, werden bei einer Weizen- beziehungsweise ATI-Sensitivität in der Regel gut vertragen.
Ein Nachteil glutenfreier Ersatzprodukte liegt in ihrem teils niedrigeren Ballaststoffgehalt im Vergleich zu Vollkorngetreideprodukten. Und das wiederum kann dazu beitragen, dass deutlich zu wenig Ballaststoffe gegessen werden. Das fördert weder die Darmgesundheit noch eine reibungslose Verdauung oder eine gesunde Artenvielfalt an Darmbakterien, dem sogenannten Mikrobiom. Die medizinische Abklärung in Kombination mit einer Eleminationsdiät (probeweise weglassen sehr glutenreicher Lebensmittel), ist der bessere Weg.