25.08.2011
Um konzentriert arbeiten zu können, braucht jeder Mensch ein Minimum an Privatsphäre. Seit die Arbeitswelt das Großraumbüro erfand, hat der Mensch ein Problem: Während er dort in Gesellschaft gut und effektiv arbeiten soll, ist er quasi ständig den Blicken seiner Kollegen ausgesetzt - ganz so, als arbeite er auf dem Präsentierteller. Wenn er telefoniert, kann beispielsweise jeder mithören. Auch entgeht niemandem, wie oft er sich zwischendurch einen Kaffee holt. Und wie soll man im Office für alle weghören, wenn der Chef dem Tischnachbarn eine Standpauke hält?
Das Gefühl unablässiger Kontrolle, das so bei den Beschäftigten aufkommt, ist nicht nur nicht schön, es macht sogar krank: Je mehr Menschen in einem Raum arbeiten, desto unzufriedener sind sie - und je unzufriedener sie sind, desto häufiger werden sie krank. Das ist das Ergebnis einer Studie der Hochschule Luzern, für die 1.400 Beschäftigte verschiedener Unternehmen befragt wurden. So musste sich etwa die Hälfte aller Mitarbeiter in Einzelbüros innerhalb eines Jahres nicht ein einziges Mal krank melden. In Zweierbüros erkrankten nur 38 Prozent nicht. In Büros mit mehr als 16 Arbeitsplätzen kamen lediglich drei von zehn Mitarbeitern ohne einen "gelben Schein" aus.
Mangelnde Privatsphäre
"Das Problem in Großraumbüros ist vor allem die mangelnde Privatsphäre", so Sibylla Amstutz, Leiterin der Schweizer Studie. "Die Mitarbeiter können soziale Nähe und Distanz dort nicht regulieren und fühlen sich als öffentliche Person, die sich von der Kommunikation nicht zurückziehen kann." Zum Stress am Arbeitsplatz für alle trägt außerdem bei, dass man dort oft der Klimaanlage hilflos ausgeliefert ist. "Wenn man auf Licht, Lärm und Temperatur keinen Einfluss nehmen kann, wirkt sich das sofort negativ auf die Zufriedenheit aus", erkannten die eidgenössischen Wissenschaftler. Ein australisches Forscherteam kam zu ähnlichen Ergebnissen: Die Mitarbeiter in Großraumbüros klagen neben dem Verlust der Privatsphäre zudem über Reizüberflutung.
Auch sie stellen einen direkten Zusammenhang zwischen Wohlbefinden am Arbeitsplatz und Gesundheit her. Zu den genannten Störfaktoren gesellt sich außerdem ein weiteres Problem: Weil man nur einer unter vielen ist, empfindet mancher Mitarbeiter das Arbeiten im Großraumbüro als Statusverlust - zumal ein beruflicher Aufstieg in vielen Unternehmen tatsächlich mit einem Umzug in ein eigenes Büro verbunden ist. "Das ist, als hielte man den Mitarbeitern das Ideal wie eine Knackwurst vor die Nase, sie dürfen aber nicht reinbeißen", so Kastner.
Produktivität der Mitarbeiter sinkt
Für Michael Kastner ist klar, dass Großraumbüros die Produktivität der Mitarbeiter senken. Dadurch sind sie für die Unternehmen möglicherweise gar nicht billiger als Einzelbüros: Die Kostensenkung durch eine effiziente Flächennutzung wird durch häufige Krankmeldungen und unproduktive Arbeit wieder aufgehoben.
Ist also die Rückkehr zum guten alten, aber teuren Einzelbüro die Lösung? Das glauben weder Kastner noch Amstutz. Trotz aller Kritik hat das Großraumbüro nämlich den Vorteil, dass die Mitarbeiter wie nebenbei miteinander kommunizieren können. "Es wird mehr informelles Wissen ausgetauscht", so Amstutz. Beide Wissenschaftler sehen in Kombi-Büros eine gute Möglichkeit moderner Arbeitsplatzgestaltung. In diesem Konzept hat jeder Mitarbeiter seine eigene "Zelle", an die sich eine gemeinschaftliche "Kommunikationszone" anschließt.
"Morgens zur besten Konzentrationszeit kann sich der Mensch zurückziehen und mittags in den kommunikativen Bereich hinausgehen", verdeutlicht Kastner. Doch auch die Bedingungen im Großraumbüro lassen sich verbessern - oft mit einfachen Mitteln. Ein Beispiel: "Niemand sitzt gern mit dem Rücken zur Tür", so Kastner. Schon ein Schrank oder Pflanzen können eine bessere Arbeitsatmosphäre schaffen.
Auch die Chefs ins Großraumbüro
Sibylla Amstutz findet es am wichtigsten, Räume zu schaffen, in die man sich für konzentriertes Arbeiten oder ein wichtiges Telefonat zurückziehen darf. Außerdem empfiehlt sie, Mitarbeiter zusammenzusetzen, die ähnliche Tätigkeiten ausführen: Einen Vieltelefonierer sollte man also nicht neben den Kollegen setzen, der vor allem Berichte schreibt. Zum Wohlgefühl trage außerdem bei, wenn man trotz Klimaanlage die Fenster öffnen könne.
"Es erhöht die Zufriedenheit der Mitarbeiter, wenn sie den Komfort am Arbeitsplatz selbst beeinflussen können", so Amstutz. Neben solch kleinen Schritten muss aber noch ein großer getan werden, damit sich die Mitarbeiter im Großraumbüro wohlfühlen: Alles steht und fällt mit der Unternehmenskultur - und die ist in Deutschland meist ziemlich altmodisch. Hierzulande sitzt der Chef oft noch in einem repräsentativen Einzelbüro. "In den Niederlanden ist man schon viel weiter", so Amstutz. Dort und in den angelsächsischen Ländern arbeiten auch die Führungskräfte im Großraumbüro. In Deutschland regt sich gegen so viel Gleichheit noch Widerstand.
Anne Mayer/Raufeld