Peter Erik Felzer
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11.06.2024
„Bei dem Umgang mit Krisen und Belastungen kann man einen Unterschied bei den Geschlechtern sehen“, betonte Professor Dr. Tilmann Krüger vor Journalisten in Staffort bei Bruchsal. Zum einen scheinen Frauen in solchen Situationen eher Angsterkrankungen zu entwickeln. Diese fänden sich bei Frauen doppelt so häufig wie bei Männern, berichtete der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie von der Medizinischen Hochschule Hannover. „Frauen nehmen Belastungen weitaus vielfältiger und emotionaler wahr, auch weil sie sich sehr verantwortlich fühlen, für das Wohlergehen ihrer Familie zu sorgen.“ Zum anderen nehmen sie aber auch leichter Hilfe an.
Männer, so der Experte, stehen eher auf dem Standpunkt: „Ich schaffe das allein, ich brauche keine Hilfe.“ Sie neigen, wenn sie unter starkem Druck stehen, eher zu Aggressivität, sozialem Rückzug und Substanzmissbrauch, etwa Alkohol. Oft dauert es bei ihnen länger, bis sie professionelle Unterstützung suchen. Krüger kennt mögliche Gründe. „Das ist zum einen veranlagungsbedingt, aber auch das Umfeld und die Erziehung spielen eine Rolle.“
Außerdem bewerten einige Ärzte die Geschlechter unterschiedlich. Bei vergleichbaren Symptomen erhalten Frauen häufiger eine psychische, Männer dagegen eher eine Diagnose, bei der körperliche Ursachen im Mittelpunkt stehen. Das belegt auch die Statistik. Die Krankschreibungen wegen psychischer Erkrankungen liegen bei Frauen bei 14,3 Prozent, bei Männern liegt der Wert bei 8,6 Prozent. Krüger: „Weitaus mehr Frauen finden den Weg in eine psychotherapeutische Praxis – manchmal sogar stellvertretend für ihre männlichen Partner, die eigentlich Hilfe benötigen würden.“
Die Rollenbilder ändern sich
In der Praxis versuche er zwar, beide Geschlechter gleich zu behandeln. Doch falle es Frauen oftmals leichter, sich zu öffnen, über ihre Gefühle, Ängste und Sorgen zu sprechen. Bei Männern beobachtet er häufiger eine sogenannte Alexithymie, eine Gefühlsblindheit. „Betroffene haben Probleme damit, Emotionen zu erkennen und zu benennen.“ Das erschwert es der Ärztin oder dem Arzt, die richtige Diagnose zu stellen.
Doch es ändert sich etwas. Laut Krüger nähern sich die Geschlechter in ihrem Verhalten langsam an. „Die Rollenbilder ändern sich.“ Beiden Geschlechtern werde erlaubt, Emotionen und Schmerz zuzulassen und offen zu sagen, dass es einem schlecht geht. „Insofern sehen wir bei beiden Geschlechtern im Rahmen ambulanter und stationärer Behandlungen sehr positive Verläufe und immer wieder große Bereitschaft, etwas zu verändern.“