02.08.2012
Forscher der Universität des Saarlandes fanden Spuren einer besonderen Substanz im Blut, die einen Frühtest auf Krebs möglich macht. Diese Substanz nennt sich microRNA. Was aber ist diese geheimnisvolle microRNA? Dazu muss man zunächst Folgendes wissen: Ob eine der ungezählten Zellen des Körpers sich teilt, wächst, stirbt oder anderweitig verändert, wird durch ihre Erbinformation im Zellkern gesteuert. Was der Zellkern gerade "zu sagen" hat, wird per Bote der übrigen Zelle mitgeteilt. Diese Botengänge übernehmen verschiedenste Varianten der Ribonukleinsäure (RNS). In der Zelle werden die RNS-Botschaften normalerweise nochmals übersetzt, und zwar in Eiweiße. Einige besonders kurze RNS-Stränge können aber anscheinend selbst in der Zelle aktiv werden, statt nur Botendienste zu leisten. Man nennt sie microRNS oder im Englischen microRNA.
Hans Dampf in allen Gassen
Diese so aktiven Moleküle wurden erstmals 1993 entdeckt und sehen in etwa so aus wie eine Haarnadel. An einem Ende bilden mehrere Schleifen eine Art Knopf, dem ein langer gerader Bereich folgt, die "Nadel". Es ist noch keine zehn Jahre her, dass sich erstmals Forscher mit der Frage beschäftigten, welche Rolle microRNA in der Zelle spielt. Inzwischen ist bekannt, dass die verschiedenen Formen der microRNA praktisch an allen Vorgängen beteiligt sind, die es in einer Zelle überhaupt zu regulieren gibt. Das betrifft auch die Zellteilung und damit die Krebsentstehung.
Jeder Krebs hat sein microRNA-Muster
Der Forscher Georg A. Calin aus Philadelphia, USA, bewies im Jahr 2002 zusammen mit seinen Kollegen erstmals, dass bei Leukämie-Patienten bestimmte microRNAs fehlen oder sehr selten vorkommen. Daraufhin wurde Krebsgewebe aus verschiedenen Organen untersucht, zum Beispiel bei Lungen-, Leber- oder Prostatakrebs. In jedem Organ zeigten die Tumorzellen charakteristische Abweichungen im großen Strauß der microRNAs. Manche traten zu häufig auf, andere fehlten oder kamen im Vergleich zu gesunden Zellen aus dem entsprechenden Organ zu selten vor.
Um Tumorgewebe untersuchen zu können, muss dem Patienten eine Gewebeprobe entnommen werden. Außerdem muss schon ein Verdacht bestehen, dass sich Krebs in einem bestimmten Organ entwickelt und wo dort genau. Neuere Forschungen widmen sich deshalb der Frage, ob nicht auch ein Bluttest auf spezielle microRNAs Auskunft geben kann, ob irgendwo im Körper unerkannt ein Tumor vorliegt. Das würde die Krebsfrüherkennung sehr erleichtern, besonders für Krebsformen, die heutzutage oft viel zu spät erkannt werden, wie Bauchspeicheldrüsenkrebs zum Beispiel. Doch gelangt der kurze Bote überhaupt ins Blut, so dass man ihn in einer Blutprobe messen kann, und wenn ja, wie kommt er dorthin?
Spuren im Blut
"MicroRNA gelangt auf drei Wegen in den Blutkreislauf", erläuterte Dr. Petra Leidinger, Forscherin an der Universität des Saarlandes. "Erstens, wenn eine Zelle stirbt. Zweitens über kleine Kügelchen, sogenannte Mikrovesikel. Zellen tauschen damit Informationen aus. In diesen Infopaketen gelangt unter anderem auch microRNA in den Blutkreislauf. Drittens enthalten Immunzellen im Blut microRNA. Mussten sie bereits Tumorzellen bekämpfen, enthalten sie einen anderen Mix der verschiedenen zelltypischen microRNA, als wenn das Immunsystem noch keinen Krebs bekämpfen musste."
Um die Frage zu klären, ob man diese Erkenntnisse zur besseren Krebsfrüherkennung nutzen kann, haben die saarländischen Wissenschaftler mit Kollegen aus ganz Deutschland das Blut von rund 450 Versuchspersonen auf insgesamt 863 microRNAs ge testet. Die beteiligten Versuchspersonen waren entweder gesund, litten an einem bereits bekannten, bösartigen Tumorleiden oder sie hatten eine andere Krankheit.
Sehr frühe Früherkennung
Die jeweiligen Krebsherde waren allein aufgrund der microRNA-Zusammensetzung im Blut gut voneinander zu unterscheiden. Und das nicht nur im Vergleich zur gesunde Kontrollgruppe, sondern auch im Vergleich zu den anderen Krankheitsbildern.
"Es handelt sich noch um reine Grundlagenforschung. Aber mit diesen Arbeiten wurde der Grundstein dafür gelegt, mit einem einzigen Bluttest eine Vielzahl von Erkrankungen mit hoher Zuverlässigkeit zu diagnostizieren", erläuterte Eckart Meese, Professor für Humangenetik an der Universität des Saarlandes, die Ergebnisse. "Da Immunzellen schon sehr früh Krebszellen angreifen, besteht die Hoffnung, dass dieser Bluttest schon bei mehreren tausend veränderten Zellen Alarm schlägt – also noch lange bevor ein Tumor im Röntgenbild oder Ultraschall sichtbar würde."
Heike Thiesemann-Reith