Eigentlich steht hier der Dirigent. Eigentlich. Denn zwischen Orchesterproben und Konzerten habe ich mich für einige Minuten auf seinen Platz geschlichen. Mein Blick wandert über die 2000 leeren Plätze in der Kölner Philharmonie. Es ist absolut ruhig. Doch das wird sich gleich ändern. Ich atme tief ein und huste. Laut klingt es. Viel lauter als zu Hause, im Büro oder in der Straßenbahn.
"Konzertsäle wie die Kölner Philharmonie bieten eine ausgezeichnete Akustik", berichtet ihr Intendant Louwrens Langevoort. Gut für leise Flöten- oder Streichtöne. Aber leider auch gut für Nieser und Huster. "Eigentlich sind die Huster und Nieser gar nicht so laut. Doch ein guter Konzertsaal wie unserer lässt, wie Sie eben gemerkt haben, selbst kleine Erkältungsattacken dramatisch klingen." Das stört vor allem bei leisen Stücken, etwa von Claude Debussy, aber auch bei einer lauten Sinfonie von Peter Tschaikowsky.
Hüsteln und Harmonien, Niesen und Notenklänge: ein Thema, so alt wie die Konzertgeschichte. Bereits vor fast 60 Jahren schrieb Heinrich Böll in seiner Erzählung "Husten im Konzert": "Mein Vetter Bertram gehört zu jener Gruppe von Neurotikern, die, ohne im geringsten erkältet zu sein, in Konzerten plötzlich zu husten beginnen." Der dänisch-amerikanische Komödiant und Pianist Victor Borge glaubte, dass "Claire de Lune" von Debussy mit seinen leisen Klängen ein Stück sei, "bei dem immer gehustet wird". Und der Satiriker Ephraim Kishon schrieb: "Das nächste Programmstück, ein blässlicher Sibelius, wurde durch den polyphonen Einsatz der Zuhörerschaft nachhaltig übertönt."
Natürlich stört es die Konzentration von Musikern und Publikum, wenn an besonders schönen Stellen des Konzertes gehustet wird. Absichtlich husten wohl die wenigsten. Mediziner kennen einige Gründe: Mancher atmet an leisen Stellen unbewusst flacher, um keinen Krach zu machen, was den Hals aber reizt. Husten scheint auch anzustecken. Räuspert sich der Nebenmann, kratzt es plötzlich im eigenen Hals. Und mancher Konzertsaal besitzt wegen der besseren Akustik ein trockenes Raumklima, was Husten fördert.
Taschentuch dämpft den Lärm
Die Lösung? Verbieten lässt sich Husten natürlich nicht. Jeder, der versucht, seinen Hustenreiz zu unterdrücken, weiß, wie schwer dies fällt. Und nach nicht allzu langer Zeit ertönt das Hüstelkonzert nur um so lauter. Den Saal verlassen und draußen husten? Langevoort: "Dies würde nicht nur für noch mehr Lärm sorgen. Je nachdem, wo der Besucher sitzt, müssten auch noch viele andere mit ihm aufstehen. Und dies würde das Konzert zusätzlich stören."
Sein Tipp: In die Armbeuge niesen und husten. So breiten sich nicht nur weniger Erkältungsviren aus. Es klingt auch deutlich leiser. Was die Kölner Philharmonie noch tut, zeigt er mir an den Garderoben. "Dort bieten unsere Mitarbeiter erkältungsgeplagten Besuchern kostenlos Taschentücher an. Wer hineinniest oder -hustet, senkt ebenfalls den Lärmpegel", weiß Langevoort. "Gegen Hustenreiz dürfen sich unsere Gäste an den Garderoben ebenfalls kostenlos mit Hustenbonbons versorgen. Die schmecken nicht nur lecker, sondern sorgen ebenfalls für eine angenehme Konzertatmosphäre."
Wessen Konzertsaal keine Hustenbonbons bereitstellt, nimmt für Notfälle Lutschpastillen aus der Apotheke mit. Aber bitte auf eine Verpackung achten, die möglichst keinen Krach macht. Deshalb auf Bonbons im Knisterpapier oder in der rappelnden Blechdose verzichten. Dicke Malzbonbons in der Backentasche schmecken vielleicht lecker, erfreuen aber nicht unbedingt Konzertbesucher auf den Nachbarplätzen.
Auf andere Rücksicht nehmen
Dass es auch ohne Bonbons gehen kann, zeigen die Methoden mancher Musiker. So starrt der österreichische Pianist Alfred Brendel vor Beginn seiner Konzerte auf jeden potenziellen Huster. Erst wenn völlige Stille einkehrt, beginnt er zu spielen. Einmal stimmte Brendel bereits zwei Takte von Schuberts Klaviersonate an, als er seinen Vortrag unterbrach. Er sah den Huster mit bitterböser Miene und höchster Verachtung an. Nach einer Schweigeminute begann er erneut. Bei vollkommener Ruhe. Salopper, aber nicht weniger gereizt, reagierte der Schauspieler Klaus Kinski, wenn ihm sein Publikum zu laut schien. "Wenn ihr nicht aufhört zu husten, geh’ ich nach Hause. Mein Geld habe ich bereits", sagte er wiederholt, wenn er auf der Bühne stand.
Für Langevoort geht es nicht nur um Husten und Niesen: "Für uns steht die Musik im Vordergrund. Deswegen versuchen wir, akustische Störungen zu minimieren." Das gilt zum Beispiel für Besucher, die erst nach Beginn des Konzerts eintreffen. "Wir bemühen uns, sie so früh wie möglich einzulassen, bitten aber um Verständnis dafür, dass wir Störungen der laufenden Veranstaltungen so weit wie möglich vermeiden wollen. In Ausnahmefällen kann das bedeuten, dass man seinen Platz erst in der Pause einnehmen kann."
Prinzipiell gilt wie für so viele Dinge: Auf andere Rücksicht nehmen! Das Handy ausschalten, vielleicht eine U-Bahn früher nehmen, um pünktlich zu kommen. Und mit einer Bronchitis nicht ins Theater oder in den Konzertsaal gehen. Man muss ja nicht gleich wie Klaus Kinski übertreiben. Er sagte über sich selbst als Zuschauer: "Ich glaube, ich würde eher ersticken, bevor ich husten würde."
Peter Erik Felzer