11.01.2012
Noch am Anfang des 20. Jahrhunderts bedeutete die Diagnose Diabetes mellitus den sicheren Tod. Die Therapie beschränkte sich im Wesentlichen auf diätetische Maßnamen. Die Folge: 60 Prozent aller Patienten starben innerhalb eines Jahres nach Entdeckung der Krankheit. Im Jahr 1921 sollte sich das ändern: Die kanadischen Forscher Frederick Banting und Charles Best isolierten aus der Bauchspeicheldrüse von Hunden und Kälbern einen Extrakt, der den Blutzucker senkte.
Erst zwanzig Jahre zuvor war Diabetes mellitus als eine Erkrankung der Bauchspeicheldrüse erkannt worden, bei der ein - damals noch hypothetisches - Hormon fehlt. In den Jahren zwischen 1889 und 1922 waren weltweit wohl mehr als 400 Wissenschaftler damit beschäftigt, dieses Hormon zu isolieren und als Medikament verfügbar zu machen. Sie machten Hunde zuckerkrank, indem sie ihnen die Bauchspeicheldrüse entfernten. Dann spritzten sie den Tieren ein Extrakt aus zerstoßenem Bauchspeicheldrüsengewebe – ohne Erfolg. Zwar enthielt der Extrakt auch das lebenswichtige Insulin, das den Blutzucker senkt. Was sie jedoch nicht beachtet hatten: In dem Extrakt waren auch alle anderen Verdauungssäfte, die die Bauchspeicheldrüse produziert. Und die zerstörten das empfindliche Insulin.
Der Durchbruch gelang erst Banting und Best. Dabei waren die Voraussetzungen alles andere als gut. Banting war eigentlich Orthopäde, interessierte sich aber besonders für Diabetes mellitus, weil ein Jugendfreund von ihm an der Erkrankung gestorben war. Banting hatte eine Idee: Er wollte erreichen, dass sich die Bauchspeicheldrüse selbst verdaute und dann aus den übrig gebliebenen Zellen seinen Extrakt gewinnen. Dazu brauchte er aber ein Labor, Versuchstiere und einen Assistenten. Mit seiner Idee ging er an die Universität Toronto, doch die Wissenschaftler der Universität zweifelten an den Erfolgsaussichten. Widerwillig stellten sie ihm ein Labor, zehn Hunde und den unerfahrenen Studenten Charles Best zur Seite.
Am 30. Juli 1921 war es dann so weit: Banting und Best konnten mit ihrem Pankreasextrakt erstmals den Blutzuckerspiegel eines Hundes senken, dem sie zuvor die Bauchspeicheldrüse entfernt und ihn so zum Diabetiker gemacht hatten. Mit einigen Injektionen am Tag überlebte dieser Hund ohne weitere Diabetes-Symptome. Ein halbes Jahr später, am 11. Januar 1922, testeten sie ihren Extrakt erstmals an einem Menschen. Das Problem: Das Insulin sorgte bei dem Patienten für starke Abwehrreaktionen, da es ein Fremdeiweiß ist. Der Versuch musste abgebrochen werden.
Erst als die Wissenschaftler ein Verfahren zur Reinigung des Fremdeiweißes entwickelt hatten, konnte das Insulin effektiv als Medikament eingesetzt werden. Schon im Frühjahr 1922 konnten Banting und Best einen 14-jährigen Kanadier mit Insulin behandeln: Leonhard Thomson war mit Diabetes mellitus in die Universitätsklinik von Toronto eingeliefert worden. Er war extrem abgemagert und konnte nur durch das Insulin vor dem sicheren Tod gerettet werden. Der Siegeszug des Insulins begann.
Die Welt reagierte begeistert auf die Entdeckung der kanadischen Forschergruppe. Schon ein Jahr später im Jahr 1923 erhielt Banting den Nobelpreis für Medizin. Eine umstrittene Entscheidung, denn Frederick Banting kritisierte, dass sein Mitstreiter Charles Best vom Nobel-Komitee übergangen worden war. Deshalb teilte er seinen Preis mit dem jungen Studenten. Frederick Banting und Charles Best verzichteten auf jegliche patentrechtliche Einnahmen, was ihnen zusätzlichen Respekt und Anerkennung brachte. In die Geschichte gingen die Forscher als Retter von Millionen von Diabetikern ein. Denn sie hatten eine Therapie für den zuvor als unheilbar geltenden Diabetes gefunden: das Insulin.
KK